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Paul Janus

geboren 1948, ist Rentner und lebt in Borna-Gnandorf

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PAUL: Ich heiße Paul Janus, bin 1948 geboren, habe bis 1993 in verschiedenen Tagebauen gearbeitet. Mit 45 Jahren bin ich, aus gesundheitlichen Gründen, in Rente gegangen. 1975 habe ich mit der Frau entschieden in den Bergbau zu gehen. Wir waren vorstellig in der BKW Regis, das war abhängig von der Zuweisung einer Wohnung. Wir hatten noch keine Kinder und waren frisch verheiratet. Dort haben sie gesagt, dass in Borna eine Genossenschaftswohnung frei wird. Da wir bis dahin bei den Schwiegereltern gewohnt hatten und die in einer genossenschaftlichen Wohnung lebten, wussten wir mit dem Begriff umzugehen. Wir sind in Erstbezug nach Borna ins Paschkeviertel in eine Wohnung im fünften Stock gezogen. Diese haben wir dann bis 1986 be­wohnt. Dann konnte ich, aus gesundheitlichen Gründen, nicht mehr die fünfte Etage ersteigen. Dann habe ich einen Antrag bei der Genossenschaft auf eine Wohnung im ersten Stockwerk gestellt. Wir sind dann 1986 in eine Wohnung in der ersten Etage in Borna Gnandorf in einen Plattenbau gezogen, wo ich immernoch mit meiner Frau wohne. 1990 haben wir uns überlegt ins Holzland zu ziehen, also die Bad Klosterlausnitzer Ecke, weil Borna ringsherum elf Schornsteine hatte, also Brikettfabriken. Egal wo der Wind herkam, von überall kam Kohlenstaub. Wir wollten uns dort etwas suchen, haben uns dann aber, wegen meiner Gesund­heit, für Borna entschieden. Dafür hat natürlich gesprochen, dass wir eine sehr gute Klinik hier haben und dass der Weg mit der S-Bahn nach Leipzig kurz ist. Ich habe kurze Wege um Einkäufe zu erledigen, falls mein Zustand sich verschlechtert. Voraussichtlich sollte sich ja nach der Wende etwas an der Braunkohlepoli­tik ändern und wir wollten das dann erstmal abwarten. Nach fünf Jahren waren die Schornsteine weg und wir hatten nur noch die Tagebaue. Das war angenehmer. Die Balkone waren nicht mehr so verstaubt. Wir haben dann gesagt, wer A sagt, muss auch B sagen. Und mich hat Borna dann mehr interessiert.
Ich würde jetzt mal etwas über Borna erzählen. Ende der 90er Jahre mussten die Wohnungsgenossenschaften fünfzehn Prozent ihres Bestandes verkaufen, um das Altschuldenhilfegesetz zu erfüllen. Nun sind in Borna Nord die Mehrzahl der Genossenschaftswohnungen. Wir hatten 750 Wohnungen in Borna Gnandorf und die Genossenschaft hat sich entschieden, in Borna Gnandorf 280 Wohnungseinheiten zu verkaufen. Das waren fünfundzwanzig Eingänge. Da wir nicht wollten, dass wir die an einen Investor abgetreten werden, haben wir beschlossen eine neue Wohnungs­ge­nossen­schaft zu gründen. Das war die WGW.

FRIEDER: Die haben Sie selber gegründet?

PAUL: Ja, die haben wir selber gegründet. Ich war da im Aufsichtsrat. Als die Gründung soweit durch war, ist der Vorstand zurückgetreten, weil sie dachten, dass damit Geld zu verdienen ist. Das war aber bei zwanzig Prozent Leerstand nicht zu machen. Dann habe ich das ehrenamtlich übernommen als Vor­stands­vor­sitzender. Die Schwester­ge­nossen­schaft hat die Ge­schäfts­be­sor­gungen für uns abgewickelt, die wir dann aus unseren Erlösen bezahlt haben. Wir haben auch einen guten Zulauf gehabt; haben den genossenschaftlichen Gedan­ken aufgegriffen und dann einen Kinder- und Jugendbeirat organisiert. Der konnte eine Fläche gestalten und hatte einen Ansprechpartner. Ende der 90er Jahre kamen die Aussiedler aus der Ukraine, Kasachstan und überall her und wir haben dann im Aufsichtsrat entschieden, fünfundzwanzig Leute aufzunehmen.
Wir wollten dann nicht, dass drei oder vier Familien in einem Eingang sind. Die mussten sich erstmal an un­sere Lebensgewohnheiten anpassen und unsere Leute mussten sich erstmal an die anpassen. Es roch dann am Anfang öfters mal nach Kohl. Das hat aber ganz gut geklappt. Wir haben eine Begegnungsstätte organisiert. Einen möblierten Raum, der jetzt immer noch besteht. Wir haben mit den Omas – die kamen ja in drei Gene­rationen an – kommuniziert und konnten dadurch unsere Anliegen in die Familien bringen. Dann haben die Umsiedler geäußert, dass sie gerne die Rabatten vor den Häusern machen wollten. Wir sind darauf eingegan­gen und haben Material zur Verfügung gestellt. Die Umgestaltung haben die dann gemacht. Heute bestehen keine Rabatte mehr. Es ist bloß noch Wiese. Niemand will sich ja mehr bücken müssen. Keiner will mehr Rasen mähen. Das muss jetzt alles von Firmen gemacht werden, sogar die Hausreinigung. Das ist jetzt die Mentalität der Leute und dafür müssen sie jetzt auch bezahlen.

FRIEDER: Damals in den 90ern war das alles im Haus organisiert? Die Aussiedler haben sich um die Rabat­ten gekümmert und andere haben den Flur geputzt, oder wie lief das?

PAUL: Die Hausreinigung und alles lief in Eigeninitiative, das ist ja ein ge­nossen­schaft­licher Gedanke. Erst Ende der 2000er kam das alles von extern. Da waren die aber schon weg.
Das Ergebnis war dann, dass manch Hartgesottener der Meinung war und über die Aussiedler gesagt hat: von denen könnten wir mehr Leute haben, also mit der Einstellung. Das hat mich natürlich auch gefreut, dass man durch Reden und positive Beispiele etwas erreichen konnte. Wir haben dann beispielsweise den Grün­flächenverschnitt zweimal im Jahr gemacht. Ich hatte viele Sozialschwache, die dann die vier Stunden mitge­macht haben. Es gab dann danach einen Kasten Bier und eine Bratwurst. Die haben sich eingebunden und mitgenommen gefühlt.
Vor allem wird wertgeschätzt, wenn man was selber gemacht hat. Ob das die Rabatten waren, der Grünver­schnitt oder ob das die Kinder waren, die ihre Ecke hatten. Wir hatten sogar eine Fußballmannschaft von un­serem Wohnviertel. Die haben zu uns gehalten. Da müssen sie Leute finden, die das mögen und möchten. Das ist eigentlich mein Anspruch. Man sollte sich, wenn man etwas macht, nicht zu sehr in den Vordergrund rücken, sondern den anderen Raum geben.
Es war in dieser Zeit sehr schwierig eine gewisse Akzeptanz für Menschen aus anderen Ländern zu etablie­ren. Die rechten Gruppierungen waren sehr stark vertreten, wir hatten in Gnandorf auch Belegungen mit sol­chen Leuten. Und da musste man mit umgehen. Ich habe dann den Leuten eine Plattform gegeben, mit denen gesprochen. Die konnten in unsere Begegnungsstätte kommen. Ich habe den Bürgermeister, die Bürgerpoli­zisten und die Polizei eingeladen. Vom Landratsamt war auch jemand da. Das war ein gutes Gespräch. Man hat sich kennengelernt. Es wurden Forderungen gestellt und beide Seiten haben versucht, die zu realisieren. Ich wurde gefragt, ob ich denn keine Angst hätte, um meine Reifen zum Beispiel. Das war damals so ein Thema. Ich meinte, mit den Leuten zu reden, ist viel besser als über die Leute zu reden.

FRIEDER: Die haben vorher Reifen zerstochen?

PAUL: Nein, das war in der Stadt. Insgesamt war die Tendenz so. Man hat früher gesagt, das waren die Glatzköppe, die Glatzen. Da muss man sich 25 Jahre zurück versetzen. Das werden Sie vielleicht so nicht mehr kennen.

FRIEDER: Nein, ich kenne das nur vom Hörensagen.

PAUL: Das waren sowohl junge Leute, als auch junge Erwachsene, die teilweise auch schon Familien hatten. Das waren Leute, die bei diesen Gruppen versucht haben Anhang zu finden und Kameradschaft. Zu der Zeit waren viele orientierungslos. Außer der Sportvereine gab es ja nichts. Sobald man stigmatisiert wurde, war es schwer für die Leute. Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es zurück. Bei uns wollten zwei Famili­en in Wohnungen einziehen, von denen ich wusste, dass sie in dem Metier waren. Da haben wir uns unterhal­ten und ihnen gesagt, dass wir das wissen. Sie meinten, sie waren vorher schon mal in der Runde in der Be­gegnungsstätte dabei und dass sie sich hier benehmen würden. Dem haben wir vertraut und das hat geklappt. Ob die dann irgendwo hingefahren sind und was gemacht haben, das kann ich nicht beurteilen. Ich bin nicht dazu da, das zu kontrollieren. Wenn sie Vermieter sind, muss das Wohnumfeld und die Mietsache in Ordnung sein. Das hat ja alles gut geklappt. Der große Teil ist dann später weggezogen, wegen des Drucks der Stadt. Das Problem war nicht gelöst, es hat sich nur verlagert. Die sind dann teilweise nach Böhlen. Jedenfalls hat­ten wir dann nur noch zwei, drei Familien und sind gut miteinander ausgekommen.

FRIEDER: Ich wollte noch wissen, was Gnandorf genau für ein Viertel war. Waren es vor allem Plattenbau­ten?

PAUL: Es waren Plattenbauten mit sechs Etagen. In jeder Etage zwei Wohnungen. Die Wohnumrisse waren prima, haben alle gesagt. In Gnandorf gab es zwei Eigentümer, die Stadt und die Genossenschaft. Die Stadt hat in ihre Wohnungen viele Sozialschwache, oder Auffällige gesteckt. Deswegen gab es dort immer Ärger. Ich will die Leute nicht abwerten, aber andere wollten sie nicht haben. Dort hat die Stadt die Leute deponiert und sie haben sich dann nicht groß gekümmert. Dann haben wir das übernommen. Ich war Mitglied im Ob­dachlosenverband und habe unsere Leute dort angemeldet und begleitet. Wir haben fünf oder sechs Obdach­lose übernommen. Davon sind vier negativ aufgefallen und zwei konnten wir halten. Meine Vision war sie zu begleiten, aber sobald die weg und auf sich selbst angewiesen waren, sind sie ihrem gewohnten Lebenswan­del verfallen. Das war nicht gerade das Beste, aber wir haben das gemeistert, mit der alten Genossenschaft. Dann hat die BWS, das ist das städtische Wohnungsunternehmen, alles entweder abgerissen oder an einen Privatinvestor verkauft, der es nach der Sanierung dann abgetreten hat als es nichts mehr zu holen gab. Dabei ist dann auch viel Leerstand entstanden. Dort hat die Stadt dann später versucht, auch Migranten und Flücht­linge unterzubringen.
Von dem Viertel steht heute nur noch die Hälfte, der Rest ist schon abgerissen. Jetzt haben wir große Freiflä­chen. Die zehn Jahre Haltefrist für die Freiflächen sind jetzt vorbei und es werden nun schon Einfamilien­häuser gebaut. Da hab ich natürlich immer so meine Bedenken. Wir haben ja immer noch Leerstand. Ich bin von Haus aus pazifistisch eingestellt und auch gegen Flächenversiegelung. Ich kann das Phänomen nicht ver­stehen, dass die Eigenheime immer mehr Flächen versiegeln, obwohl wir so viel Leerstand haben.

FRIEDER: Das geht mir ähnlich. Ich bin in Weinböhla aufgewachsen, in der Nähe von Dresden. Da gab es zu DDR-Zeiten viele Gärtnereien und die sind in den 90er Jahren zum Großteil pleite gegangen. In meiner Kindheit haben wir in diesen Gärtnereien gespielt und sind über freie Wiesen in die Schule und sonst wohin Fahrrad gefahren. Jetzt wird es nach und nach von Leuten, die in Dresden arbeiten und sich ein Eigenheim leisten können, zugebaut. Ich kann da die Stadt und die Gemeinde nicht verstehen, dass die es einfach geneh­migen, dass da über Kilometer nur diese Flächen entstehen. Ohne dass da ein Streifen Grün bleibt oder dass da mal ein Park angelegt wird. Alle haben ein Auto und fahren die zehn Minuten bis zum Wald.

PAUL: Ich kenne ja viele Leute, die früher anders gesprochen haben, die ihre Vorsätze in jeder Richtung ver­gessen, sobald sie Möglichkeiten haben. Deutschland ist eigentlich ein Land, in dem es noch am wenigsten privates Wohneigentum gibt. Da ist Griechenland zum Beispiel weiter. Die haben zwar weniger Taschengeld, aber die Immobilie steht. Der Wert steht. Das ist eben so und ich hatte immer in Gnandorf einen Blick drauf.
Ich habe dann irgendwann gemerkt, dass wir, als Wohnungsunternehmen, keine Lobby hatten. Im Stadtrat war niemand, der sich damit auskannte. Wir haben dann eine Initiative gegründet. Die hieß „ge­nossen­schaft­­liches Wohnen“. Wir wollten bei der Wahl im Stadtrat vertreten sein. Wir hatten drei Kandidaten und brauch­ten Un­ter­stützer­unter­schrif­ten. Die haben dann viele von den Umsiedlern gemacht. Die haben sich da einge­bunden gefühlt. Wir haben sie mitgenommen und mit ihnen gesprochen. Wir hatten auch ein Hoffest, da war der Kontakt und alles da. Wir sind am Ende aber an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.
Nachdem wir es nicht geschafft haben, in den Stadtrat zu kommen, habe ich eine Liste mit Fragen gemacht. Ich war damit bei der SPD – damals war Bürgermeisterwahl – und habe die Liste mit denen abgearbeitet. Von den Antworten waren manche schwammig. Dann bin ich zufällig zur CDU nach Kesselshain und dort habe ich die selben Fragen gestellt. Da waren auf einmal vier, fünf Leute, die ich aus der Stadt kannte. Und dort bin ich dann geblieben. Ich bin jetzt seit über zwanzig Jahren bei der CDU. Ich habe ja gesagt, wer A sagt, muss auch B sagen. Da bin ich der Mit­glie­der­be­auf­trag­te im Bornaischen Stadt­verband. Soziale Marktwirt­schaft war unser Motto, das fand ich nach der Wende nicht so schlecht.

Ich bin seitdem regelmäßig in die Stadtratssitzungen gegangen. Nach zwanzig Jahren hatte ich einen Einblick, wohin Borna will und wohin nicht. Mein Anliegen war immer Borna zur Hauptstadt von Neuseenland zu machen, aber da gab es so viele verschiedene Meinungen. Es gab hier damals viele Arbeitsplätze. Es sind sehr viele Leute zugezogen und die haben nie so einen Patriotismus entwickelt. Viele haben keinen richtigen Bezug zu Borna, wollen nur das Gute mitnehmen, aber sind nicht bereit, das Schlechte zum Besseren zu machen. Wenn etwas Neues geschaf­fen wurde, gibt es garantiert Ge­gen­stimmen, die das wieder niederreden.
Ich habe überall Verantwortung übernommen. Ich habe mir auch einen Gartenverein gesucht, als wir in das neue Haus gezogen sind. Dort war ich auch mit im Vorstand. Ich bin mit vielen Leuten, auch jetzt noch, im­mer gut ausgekommen. Es gibt welche, die nicht in meine Richtung passen, aber trotzdem rede ich mit denen und grüße sie. Wir wissen, was wir voneinander halten. Die kommen mit gewissen Sachen nicht mehr zu mir, weil sie wissen, dass ich da eine andere Meinung habe. Den Leute geht es nicht direkt um die Partei, sondern die gucken welche Leute was machen.
Ich habe immer noch drei oder vier Baustellen. Ich habe einiges abgegeben, weil sonst schaffe ich das alles nicht mehr. Ich hab mir mal zum Motto gemacht, alle fünf Jahre etwas Neues zu suchen.
Da muss ich aber dazu sagen, dass ich diese ganzen Arbeiten ehrenamtlich mache. Manchmal gab es eine kleine Auf­wands­ent­schä­di­gung. Ich war ja In­va­li­den­rent­ner. Jetzt wo ich Altersrentner bin, habe ich immer noch dieselbe Rente.
Als noch Rummel war, bin ich mal mit dem Riesenrad gefahren und das hält ja dann oben. Da hab ich gese­hen, dass Borna gutes Potential hat. Alles ist grün, viele Seen und viele schöne Radwege. Es gibt auch noch Drecksecken, da kommt manchmal die Stadt nicht hinterher. Es gibt eben noch solche Leute, die sich nicht dran halten. Es ist aber weniger geworden und hat sich schon ein bisschen gebessert.
Was noch wichtig dafür ist, warum ich hier in Borna gut Fuß fassen konnte: Ich bin 1995 in die Kirche ein­getreten. Ich war vorher nicht in der Kirche. Ich habe durch meinen Ge­sund­heits­zu­stand etwas gesucht.

FRIEDER: Was haben Sie gesucht?

PAUL: Ich habe Halt gesucht. Ich bin zum Beispiel 1987 in die Klinik gefahren und hatte fünfundzwanzig Prozent Überlebenschancen. 1980 war ich auch schon am offenen Herzen operiert worden. Ich habe da ge­dacht: „Wenn es den lieben Gott wirklich gibt, bei 25-prozentiger Überlebenschance, mache ich bei der Kir­che mit. Ich habe noch ein bisschen was vor.“ Dann sollte mein Junge zur Jugendweihe. Da gab es die Opti­on Kirche, da war ich noch nicht Mitglied. Er hat gesagt, er gucke sich das mal an und ob er denn müsse. Ich meinte er müsse nicht, er dürfe das selbst entscheiden. Ich habe immer bloß beraten und nicht belehrt. Es ist ja sein Weg. Er ist mit einem Kumpel dann zum Religionsunterricht und sie wollten sich taufen lassen. Sie brauchten einen Begleiter und da ich schon in Rente war, konnte ich das machen. Dort habe ich die Leute, den Pfarrer und alle kennengelernt. Ich habe mich dann entschlossen in die Kirchgemeinde einzutreten. Ich habe dann im Kirchenvorstand mitgearbeitet, bis vor zwei Jahren, und habe hinter die Kulissen geguckt. Ich habe mich dann sehr gefreut, dass Borna seine drei Kirchen auf einen guten Stand gebracht hat. Der Friedhof ist in Ordnung.
Was möchten sie noch wissen? Sie haben hier ja mal „geboren, gekommen, geblieben“ hin­ge­schrieben.

FRIEDER: Genau, das ist der Projekttitel.

PAUL: Bei mir würde jetzt „zugezogen, angekommen und geblieben“ passen.

FRIEDER: Und von wo sind Sie hergezogen?

PAUL: Ich komme aus Meuselwitz, das ist in Thüringen. Ich bin 1948 geboren in Cröbern, dann ist der Va­ter nach Altenburg und später nach Meuselwitz gezogen. Er war bei der Polizei. Erst bei der Transportpoli­zei, dann beim Werksschutz in der Maschinenfabrik. Ich habe die politische Oberschule besucht, bis zur zehnten Klasse. Früher war es so, dass die ansässigen Betriebe besucht wurden. Dort wurde dann der Unter­richt abgehalten. Wir hatten zum Beispiel in Meuselwitz die Maschinenfabrik, dann noch die Landwirtschaft und dann noch drei oder vier Brikettfabriken und den Tagebau. Wir waren in allen Bereichen. Meine Mutter ist, als ich zehn Jahre alt war, in die Brikettfabrik gegangen. Ich musste eine Lehre als Installateur machen, habe mich aber immer für etwas anderes interessiert. Eigentlich wollte ich in die Landwirtschaft. Ich wollte Mähdrescher fahren. Ich war schon mit zwölf Jahren Beifahrer. Ich hab immer ein bisschen Geld verdient und auch mein Fahrrad selbst verdient.

FRIEDER: Was hat ein Beifahrer beim Mähdrescher gemacht?

PAUL: Der hat die Säcke, wo das Spreu drin war, zugemacht und abgeworfen. Also mitgeholfen, aber nicht gefahren. Mit zwölf Jahren Säcke getragen, die Gaben gebündelt und aufgestellt. Ich war jung. Ich bin im­mer drei, vier Kilometer bis nach Spora gefahren und habe dort mitgemacht. Ich habe mir ein Motorrad ge­kauft von dem Geld. Teilweise kam der Vater und hat sich was geborgt von mir. Ich hatte immer ein bisschen Geld. Durch den Krieg gab es ja viel Zerbombtes. Ich habe Steine aus den Ruinen geklopft und für den Wie­deraufbau vorbereitet. Deswegen war mein Ansehen immer hoch, da habe ich mich drauf verlassen können. Dann habe ich mich entschieden in den Tagebau zu gehen.

FRIEDER: Das war nach der Lehre?

PAUL: Nach der Lehre als Gas- und Wasserinstallateur. Mein Vati wollte unbedingt, dass ich das lerne. Der wollte nicht, dass ich in die LPG, oder in den Bergbau gehe. Das war aus seiner Sicht das Richtige. Das hat mir aber nie Spaß gemacht. Ich bin im Bergbau als Schichthandwerker auf die Geräte.

FRIEDER: Was haben Sie da gemacht?

PAUL: Wir waren in der Werkstatt auf Abruf und wenn dort bei den Baggern irgendwas kaputt ging, dann sind wir mit unserem Materialwagen hingefahren und haben das Gerät wieder in Gang gebracht. Das habe ich eine Weile gemacht, dann habe ich mich als Schweißer umschulen lassen. Danach bin ich dann bei der Armee gelandet.
Schon als Kind hatte ich den Slogan „keine Waffen mehr“ gehört. Ich bin dann enttäuscht worden: auch die DDR hatte eine Armee. Ich bin dann nicht in die Kampfgruppe Zivilschutz, das war alles para­mili­tärisch. Mich haben sie mit sechs­und­zwan­zig Jahren in Verschluss genommen. Normalerweise hätte ich gar nicht ge­musst, weil ich ja damals schon krank war. Die Diagnose war da aber noch nicht so ausgeprägt. Da haben sie gesagt, als ich die Grundausbildung gemacht habe, dass ich gerne in der Küche weitermachen könne. Wenn die Offiziere verabschiedet worden sind oder neue kamen, habe ich geholfen. Ich konnte immer aus dem We­nigen etwas zaubern. Aus Sauerkraut und Knochen. Wenn es ins Manöver ging, konnte ich in die Feldküche. Ich habe auch mal ein bisschen Ärger gehabt. Da haben wir mal einen Ausgang überzogen. Ich war damals in Bergen bei Rügen eingesetzt. Nach der Armeezeit wollte ich bei der Hochseefischerei arbeiten. Da hab ich aber den Ablauf noch gar nicht gewusst, dass erst ein Sichtvermerk gemacht werden musste. Ich habe mich dann bloß gewundert, als ich nach Meuselwitz zurückkam und der Kellner mich fragte, ob ich etwas verbro­chen habe. Die Polizei war wohl da und hat sich über mich erkundigt. Die haben den Kellner gefragt, ob ich, als ich ab und zu im Stadthaus in der Gaststätte war, mich auffällig verhalten habe. Weil man hätte ja über et­was reden und singen können.

FRIEDER: Warum hatten die Sie auf dem Schirm?

PAUL: Weil ich zur Hochseefischerei wollte.

FRIEDER: Die haben geguckt, ob sie rüber machen wollen?

PAUL: Ja. Ich kannte den, der sich an mich ran gemacht hatte. Wir haben uns ausgesprochen. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn nie wiedersehen wollte. Ich wurde immer in Häuser eingemietet, wo einer drinnen war. Der Hausverwalter oder so. Ich will jetzt keine Namen nennen. Die haben sich an mir abgearbeitet, aber ich hatte gar nicht die Idee, da irgendetwas zu machen. Sie haben also nie etwas gefunden. Ich habe in der Lehre gemerkt, dass die, die schlecht waren, in die Partei gegangen sind und dann durchgekommen sind. Das war nichts für mich und ich hab mich dann anderweitig orientiert. Ich habe meine Arbeit gut gemacht, klar bin ich manchmal verreist, aber da ist man auch gut rum gekommen. Ich hatte einen Trabant. 1978 kam dann mein Sohn. Ich habe mein Ding gemacht.
Ich war eigentlich auch immer sehr traurig, dass wir ein so großes Bruttosozialprodukt mit den Tagebauen und Briketts geschaffen haben und so wenig in unserem Leben hatten. Alles ist nach Berlin gegangen. Zu DDR Zeiten haben ich mir geschworen, dass ich nicht nach Berlin fahre.

FRIEDER: Aus Prinzip?

PAUL: Aus Prinzip wollte ich da nicht hin fahren.
Von der Armee bin ich dann wieder nach Hause und habe mich für den Lehrgang zum E-Lokfahrer bewor­ben. Da war ich vierzehn Tage, dann kam der Abteilungsleiter und meinte, wir müssten mal reden. Es war damals alles per du im Bergbau. Ich habe ein Schreiben von der Armee bekommen, dass es keine guten Ar­beitsplätze gäbe. Eher am Gleis als auf der Lok. Ich meinte, ich wäre ja schon dabei und wüsste nicht, was ich jetzt machen sollte. Er meinte, er nehme dass auf seine Kappe und ich solle weiter Lokfahrer lernen. Nach sechs Wochen war ich Lokfahrer. Da meinte er, dass er das nicht gedacht hätte, dass nach fünf Jahren nochmal jemand mit zwei Zweien abschließt. Praktisch und theoretisch. Da bin ich E-Lokfahrer geworden, im Tagebau Haselbach. Manchmal, wenn ich nach Luckau fahre, dann fahr ich direkt vorbei, wo ich achtzig Meter tiefer mit dem Zug gefahren bin. Das ist schon komisch. Ich bin immer bei Wind und Wetter nach Zeitz gefahren, ein Jahr lang. Bis dann der Entschluss kam, mit der Frau im Tagebau Schlehenhein anzufan­gen. Das ist der dritte Tagebau, der jetzt noch befahren wird, aber mit Bändern. Ich habe da als E-Lokfahrer weiter gearbeitet, bis zu meiner Berentung 1993. Meine Frau hat bis 1995 gearbeitet. Sie ist auch abgewi­ckelt worden und hatte dann einen Unfall. Sie hat dann aber auch keine Arbeit mehr gefunden, durch ihre Behinderung.

FRIEDER: Was hat ihre Frau im Tagebau gemacht?

PAUL: Sie war zuerst im Kohlebagger und hat dort die Beladerin gemacht. Die Kohle wurde ja herausge­nommen, kam auf den Drehteller und wurde dann über Band auf eine Klappe befördert, welche über dem Kohlezug hing, der unten entlang fuhr. Sie musste dann stückchenweise die Züge beladen. Das hat sie ge­macht, bis unser Sohn 1978 zur Welt kam. Sie hat vorher noch eine Umschulung gemacht, da hab ich ge­staunt. Richtige Schule, mit Mathe und allem. Zur Großgerätefahrerin. Dann kam der Junge. Dann wurde sie ein Sicherheitsposten. Sie war verantwortlich für die Leute, die die Gleise geschweißt haben. Ein verantwor­tungsvoller Beruf. Das hat sie gerne gemacht, bis zu ihrer Abwicklung oder Entlassung.

Was mir imponiert hat, war, dass wir viele Trinker hatten und die hat man nicht einfach auf der Straße gelas­sen. Wir hatten dann eine Brigade „Sonnenschein“. Die kamen ins Werk und bekamen ein, zwei Bier am Tag, damit sie ihren Pegel halten konnten. Die kamen aber nicht mit Sachen in Berührung, bei denen sie sich ver­letzen konnten. Die haben zum Beispiel geschippt. Das fand ich eigentlich gut. Die hat man mitgenommen. Die haben noch etwas Geld verdient und waren nicht auf der Straße. Das war in der DDR gar nicht so schlecht. Die sind natürlich dann nach der Wende in ein Loch gefallen.

FRIEDER: Was wünschen Sie sich für Borna in der Zukunft?

PAUL: Wir haben hier in Borna viele Seen. Ich muss aber immer noch fünfundzwanzig Kilometer, nach Großstolpen bei Groitzsch fahren, um baden zu gehen. Da ist ein sehr gut erschlossener See, mit Sanitär­anlagen und Badestrand. Davon haben wir nichts dergleichen hier. Jetzt ist ja der Bockwitzer See im Ge­spräch, damit wir endlich mal vor der Haustüre baden können. Das Freibad ist ja auch weg.
Dann wünsche ich mir für die Zukunft ein Nutzungs­konzept für die Kuni­gunden­kirche. Da kann man etwas ganz Feines draus machen. Das Rad­weg­konzept sollte weiter verfolgt werden. Schlie­ßungs­lücken. Bei mir vor dem Haus fehlen zum Beispiel fünf­hundert Meter, wo man wieder auf der Haupt­straße fahren muss. Ei­gentlich wäre mein Wunsch, nicht so viel zu meckern. Dass mehr Leute anpacken, Brücken bauen und sich kümmern. Es werden immer weniger. Solche, wie ich das gemacht habe, sterben langsam aus. Das finde ich sehr schade. Wir bekommen jetzt auch wieder die Menschen aus der Ukraine. Da wünsche ich mir, dass die gut ankommen und Wohnungen beziehen, sodass wir uns in absehbarer Zeit zum Kaffee trinken treffen kön­nen.

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