Komplex : Heimat
Völkerschlacht bei Leipzig, Markkleeberg 2021.
„Wir Sachsen, wir sind helle, das weiß die ganze Welt! Und sind wir mal nicht helle, dann haben wir uns verstellt“, so sagt ein altes sächsisches Sprichwort. Seit seiner Kindheit wundert sich der Fotograf Frieder Bickhardt über die Idee, dass „die Sachsen“ etwas besonderes wären. Denn nicht nur in gereimten Sprüchen geht es darum, auch die Politik nutzt diesen Lokalstolz in ihren Botschaften, wie Kurt Biedenkopf im Jahr 2000 mit seiner viel kritisierten Behauptung, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus. Im Rest von Deutschland gibt es dagegen oft negative Vorstellungen, wie „die Sachsen“ so wären.
Woher kommt diese auch heute noch verbreitete Vorstellung, die Sachsen wären anders oder gar besser? Warum braucht es das? Was bedeutet es für das Zusammenleben, wenn wir uns immer wieder von „den Anderen“ abgrenzen? Wer ist beteiligt an der Konstruktion von sächsischen Identitäten?
Mit diesen Fragen und einer Großformatkamera im Gepäck hat sich Frieder Bickhardt immer wieder auf den Weg gemacht. Die Fotografie wird dabei zum Werkzeug für die eigene Auseinandersetzung, gleichzeitig kann er so seine Beobachtungen zeigen und zum Gespräch einladen. Nach gründlicher Recherche, mit ruhigen Blick vom Stativ hat er auf großen analogen Abzügen ganz verschiedene Orte, Szenen und Ereignisse in Sachsen fotografisch fest gehalten. Es sind Orte, an denen etwas passiert ist und immer noch passiert. Etwas, das für viele Teil „sächsischer“ Identität ist und werden kann.
Viel geht es dabei um Erinnerung an Geschichte, wie bei den Trauerkränzen für die Kriegsgefangenen der Wehrmacht in Zeithain oder bei der rekonstruierten Frauenkirche. Neben solchen eher „stummen“ Gesten und Orten sind auch Rituale wie eine Osterprozession der Sorben zu sehen oder gar eine mehrtägige Nachstellung der Völkerschlacht bei Leipzig. Durch die von Frieder Bickhardt vorgenommene Zusammenstellung dieser identitätsstiftenden Handlungen kommt unweigerlich die Frage auf, wer hier in welcher unbewussten oder bewussten Absicht handelt. Dass keine Form des Erinnerns neutral ist, wird vielleicht besonders deutlich am Bild der Blumen und Trauerbeigaben für das Opfer einer Messerstecherei in Chemnitz im September 2018. Innerhalb weniger Tage gab es eine massive ausländerfeindliche Mobilisierung mit Hetzjagden, deutschlandweite politische Diskussionen und das auf einem anderen Foto abgebildete große Konzert als Gegenveranstaltung. Der dafür genutzte Hashtag #wirsindmehr verweist bereits darauf, dass auch hier um Identität gerungen wird. Auf einem anderen Bild ist eine leere Wiese in der Frühlingsstraße in Zwickau zu sehen – die Stelle, wo Beate Zschäpe ihr Wohnhaus sprengte. Das Foto wirft die Frage auf, wie eine Stadt damit leben kann und es in ihre lokale Identität integriert, dass jahrelang eine Terrorgruppe sich hier verstecken konnte. Auch für die antifaschistische Bewegung aus Sachsen ist diese Frage zum eigenen Bezugspunkt geworden.
Neben diesen politisch aufgeladenen Ereignissen zeigt Frieder Bickhardt aber auch Natur. Auf einem Bild sehen wir beispielsweise einen Wald in der Sächsischen Schweiz – identitätsstiftender Ausflugsort für viele Sachsen. Erst auf den zweiten Blick wird sichtbar, dass hier ein Waldbrand gewütet hat, der zum Glück vor der ganz großen Katastrophe gelöscht werden konnte. Am Ende legt die Ausstellung auch nahe, die vielen Umbrüche nicht nur als Bedrohung für „die sächsische Identität“ wahrzunehmen. Eine Aufnahme aus Hoyerswerda zeigt Flamingos im Zoo gleich hinter dem Schloss. Sie scheinen sich hier wohl zu fühlen – auch wenn wohl kaum jemand sagen würde, dass sie zu Sachsen gehören. Sie sind einfach da.
Die Ausstellung ist nun erstmals öffentlich zu sehen – vom 17. März bis 17. April zu den regulären Öffnungszeiten im Schloss und Stadtmuseum Hoyerswerda. Zur Vernissage am 16. März um 19 Uhr sind alle Interessierten herzlich eingeladen.
Die Ausstellung ist eine Produktion von unofficial.pictures. Bereits bei dem Gemeinschaftsprojekt „Neue Sichten für Hoyerswerda“ haben wir mit dem Fotostammtisch der Kulturfabrik und dem Schloss und Stadtmuseum kooperiert. Das Projekt wird gefördert von der Kulturstiftung des Freistaats Sachsen und war 2022 Preisträger beim simul+ Mitmachfonds im Modul ReWIR.
Ausstellungen
31.05.2024 – 16.06.2024
Vernissage am 31.05.2024 um 19 Uhr
Historischer Wartesaal
Hauptbahnhof Leipzig
im Rahmen des f/stop Festivals für Fotografie
16.03.2023 – 17.04.2023
Vernissage am 16.03.2023 um 19 Uhr
Schloss & Stadtmuseum Hoyerswerda
Schlossplatz 1
02977 Hoyerswerda
Handabzüge
Wer unsere Arbeit unterstützen möchte, kann auch die in Auflage 2 (plus 1 Artist’s Proof) hergestellten analogen C-Prints aus dem Projekt im Format 80×100 cm auf Alu-Dibond erwerben.
Kontaktiere uns bei Interesse.
Fotografien und Bildtexte
Flamingos, Hoyerswerda, 2021
Flamingos leben in der freien Natur in tropisch warmen Gebieten in Afrika, Süd- und Mittelamerika, Asien, Südfrankreich, Spanien und Sardinien. Die rosafarbenen Vögel leben in riesigen Gruppen von bis zu zehntausend Tieren.
Der Zoo in Hoyerwerda entstand in den 1950er Jahren. In den 1970er und 80er Jahren kamen sogenannte exotische Tiere in den Zoo. 1979 wurden beispielsweise 16 Flamingos aus dem Zoo Dresden nach Hoyerswerda gebracht. 2021 wurden die Rosaflamingos wegen dem geplanten Bau eines zweiten Treppenhauses am benachbarten Schloss Hoyerswerda nach Augsburg abgegeben. Nach Abschluss der Bauarbeiten sollen hier Chileflamingos einziehen.
Der Saal, Oberlandesgericht Dresden, 2022
Als 2017 der Prozess gegen die rechtsextreme „Gruppe Freital“ beginnen sollte, die für fünf fremdenfeindliche oder politisch motivierte Anschläge verantwortlich gemacht wurde, suchte die sächsische Justiz über Monate nach geeigneten Räumlichkeiten für einen der größten Strafprozesse, die es in Sachsen je gegeben hatte.
Als Interimslösung wurde ein eigentlich als Speisesaal einer Dresdner Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende geplantes Gebäude umgeplant und für 5,5 Millionen Euro zum Gerichtssaal umgebaut.
Aktuell laufen zwei Gerichtsverfahren in diesem Saal, denen ebenfalls eine große Bedeutung zugemessen wird.
Zum einen der Prozess gegen Lina E. und gegen weitere Angeklagte wegen angeblicher Gründung einer linksterroristischen Vereinigung. Ihnen wird vorgeworfen, Rechtsextreme und Neonazis in Wurzen und Eisenach angegriffen zu haben. Das Verfahren beruht auf Ermittlungen der Sonderkommission (SoKo) LinX des sächsischen Landeskriminalamtes, welches 2019 gegründet wurde.
Anfang März 2023 legte die Bundesstaatsanwaltschaft in dem Verfahren einen neuen Beweis vor, der ein Alibi eines Mitangeklagten entkräften sollte: Dieser hatte für die Tatzeit ein Alibi bis 22:48 in Leipzig, jedoch versuchte man durch eine eigens durchgeführten Testfahrt mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 145 km/h und 214 km/h in der Spitze zu beweisen, dass er trotzdem rechtzeitig am Tatort hätte gewesen sein können. Das Verfahren läuft seit mehr als 550 Tagen. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden strebt eine Urteilsverkündung vor Ostern 2023 an.
Die Soko LinX wird oft für eine einseitige und politisch motiviert wirkende Polizeiarbeit kritisiert. Erst seit Anfang letzten Jahres fokussiert sie sich nun nur noch auf schwere politisch motivierte Straftaten, wie z.B. Gewaltverbrechen. Minder schwere Staftaten, wie Graffitivandalismus überlässt sie seitdem den örtlichen Polizeidirektionen. Die SoKo ReX, fokusiert auf rechtsextreme Straftaten, arbeitet bereits seit ihrer Gründung so.
Ein weiterer Prozess in dem Saal läuft gegen Mitglieder des sogenannten Remmo-Clans. Ihnen wird vorgeworfen, einen bedeutenden Teil der Schmuck- und Juwelensammlung von August dem Starken aus dem Grünen Gewölbe des Residenzschlosses in Dresden gestohlen zu haben. Am Tag nach dem Einbruch besuchte Ministerpräsident Kretschmer den Tatort und äußerte seine Betroffenheit. Dabei verwies er auf die Bedeutung der Kunstsammlung im Grünen Gewölbe: „Das ist Sachsen. Das ist unsere Identität.“ Er betonte, nicht nur die Sächsischen Staatlichen Kunstsammlungen wären bestohlen worden, „sondern die Sachsen insgesamt“. Der Geldwert der Kunstobjekte und 21 Schmuckstücke mit insgesamt 4300 Diamanten konnte schwer beziffert werden, da vergleichbare Objekte nicht frei gehandelt werden. Der Versicherungswert lag aber mindestens bei 113,8 Millionen Euro. Im Dezember 2022 übergaben Mitglieder des Remmo-Clans einen Großteil des gestohlenen „Sachsenschatzes“ über Anwälte an die Sächsische Polizei. Im Januar 2023 legten zwei Angeklagte umfassende Geständnisse ab. Ihnen war zuvor eine auf fünf bis sechsdreiviertel Jahre begrenzte Freiheitsstrafe angeboten worden.
Die Berliner Morgenpost betitelte ihren Artikel zum Prozess am Dresdner Landgericht: „Die Gier der Clans nach Gold“. Laut einer Untersuchung der Humboldt-Universität zu Berlin wurde zwischen 2010 und 2020 in deutschen Medien ausschließlich negativ und kriminalisierend über „Arabische Clans“ berichtet. Das BKA schätzte 2015 das „Personenpotenzial“ von Clan-Familien auf 200.000 Familienmitglieder, was in vielen Medienberichten aufgegriffen wurde. Tatsächlich wird dadurch keinerlei Aussage darüber getroffen, wieviele dieser Menschen kriminell sind und wieviele demgegenüber ein nicht-kriminelles Leben in Deutschland führen. Der Autor Mohamed Amjahid schlug 2023 in einem Artikel vor, den Begriff „Clankriminalität“ für deutsche Wirtschaftskriminelle zu benutzen, die beispielsweise von der Treuhand Betriebe und Immobilien quasi kostenlos erhalten und später ruiniert haben.
Osterprozession, bei Strohschütz in der Oberlausitz, 2022
Die Tradition des Osterreitens besteht seit dem Ende des 15. Jahrhunderts. Jedes Jahr besuchen die Osterreiter-Gruppen mit ihrer Prozession weitere sorbische katholische Gemeinden, um die Botschaft von der Auferstehung Christi zu überbringen. Auf dem Weg werden sorbische Kirchenlieder gesungen und Gebete gesprochen. Am Ostersonntag 2022 nahmen ca. 1.600 Reiter an zehn Prozessionen teil.
Enstanden ist der Brauch aus einem vorchristlichen Fruchtbarkeitsritual für die Ernte. Heute wird weiterhin für ein gutes Wachstum der Saat gebetet. In Bautzen pausierte die Tradition der Sorben zu DDR-Zeiten und wurde 1993 wiederaufgenommen.
Sorben sind als ethnische und nationale Minderheit in Deutschland, Sachsen und Brandenburg anerkannt und werden dementsprechend gefördert. Slawischsprachige Menschen siedelten sich im 6. Jahrhundert zwischen Oder und Elbe an. Heute gibt es ca. 60.000 Menschen, die sich als sorbisch identifizieren, ca. 30.000 Menschen sprechen Ober- oder Niedersorbisch oder einen anderen sogenannten Übergangsdialekt. Seit 2014 sind sorbischen Bräuche in das Bundesweite Verzeichnis immateriellen Kulturerbes der UNESCO eingetragen worden.
Hanau ist überall, Leipzig, 2022
Am 19. Februar 2019 wurden in Hanau Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov aus rassistischen Motiven erschossen. Die Angehörigen und deren Unterstützer*innen fordern seitdem eine umfassende Aufklärung der Morde. Die bisherige Recherche zeigt, dass Mitglieder der in der Mordnacht diensthabenden SEK-Einheit teilweise einer rechten Gruppierung angehörten. Notrufe wurden in der Mordnacht nicht beantwortet. Der Mörder war der Polizei bereits vor der Tat bekannt. Insgesamt verstärken die Recherchen den Eindruck, dass die rassistischen Morde in Hanau hätten verhindert werden können.
Auch drei Jahre nach dem Anschlag erinnerten Menschen deutschlandweit an die Ereignisse. In Leipzig gestalteten 2022 vor allem Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind, die Kundgebung. Neben der Trauer ging es auch um die Sichtbarkeit von Alltagsrassismus und dessen Verschränkung zu rassistischer Gewalt.
Der Fingerabdruck, Dresden, 2022
August der Starke war von 1694 bis 1733 Kurfürst zu Sachsen, sowie fast ebenso lange König von Polen und Großfürst von Litauen. Seine Residenzstädte Dresden und Warschau ließ er – zu Lasten anderer Regionen und der Landbevölkerung – zu barocken Prunkstädten ausbauen, die zu den prächtigsten Europas gehörten. Die von ihm beauftragten Anlagen und von ihm angelegten Sammlungen prägen das Bild von Dresden und Sachsen bis heute maßgeblich. Er ließ das sächsische Heer erheblich aufstocken und dank steigender Wirtschaftskraft nach preußischem Vorbild reformieren.
Um seine Körperkraft ranken sich viele Legenden. Er ließ beispielsweise ein Zertifikat darüber anfertigen, dass er am 15. Februar 1711 ein Hufeisen mit den bloßen Händen zerbrochen habe. Zu der hier abgebildeten Stelle des Geländers an der Brühlschen Terrasse in Dresden – auch als „Balkon Europas“ bezeichnet – existiert die Legende, dass August der Starke seinen Daumen in das Geländer gepresst habe. Die Brühlsche Terrasse wurde allerdings erst um 1747, also 14 Jahre nach seinem Tod mit einem Geländer versehen. Wenige Meter entfernt tauchte vor einigen Jahren eine ähnliche Marke im Geländer auf. Die Webseite „Das alte Dresden“ reklamiert diese als Fälschung und verweist auf den „originalen historischen“ Abdruck.
An der Frauenkirche, Dresden, 2022
Die Frauenkirche in Dresden wurde von 1726 bis 1743 auf Beschluss des Rats der Stadt und vorwiegend aus (zweckentfremdeten) Spenden der Dresdner Bürger*innen gebaut. Der Architekt und Ratszimmermeister Bähr entschied sich entgegen früherer Pläne und mit Unterstützung August des Starken schließlich dafür, eine Steinkuppel aufzusetzen. Deren Last ruhte unbeabsichtigterweise vor allem auf acht Pfeilern im Innenraum, was immer wieder für Probleme und Reparaturen sorgte.
Nach drei Luftangriffen auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 im Zweiten Weltkrieg brannte die Frauenkirche vollkommen aus. Am 15. Februar konnten die Pfeiler schließlich das Gewicht der Kuppel nicht mehr tragen.
Die Trümmer der Kirche sollten 1962 zugunsten eines Parks beseitigt werden, was an Protesten der Bevölkerung scheiterte. 1966 wurde die Ruine offiziell zum Mahnmal gegen den Krieg erklärt. Zum 13. Februar 1982 riefen Dresdner Christen als Teil der Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ erstmals zum stillen Gedenken gegen den Krieg an den Trümmern der Frauenkirche auf. 1985 nahm der Rat der Stadt den Wiederaufbau der Kirche in seine Langzeitplanung auf. 1990 gründete sich die „Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche in Deutschland e. V.“, die Überzeugungsarbeit leistete und Spenden sammelte – insgesamt kamen über verschiedene Aufrufende 115 Millionen der nötigen 180 Millionen Euro zusammen, den Rest zahlten zu etwa gleichen Teilen die Stadt, Sachsen und der Bund. Der Neubau unter Verwendung des historischen Baumaterials und in Anlehnung an die alte Konstruktion dauerte von 1993 bis 2005. Die Süddeutsche Zeitung schrieb 2006 rückblickend von „symbolische
Heilung jener Wunden, die [der] Stadt zum Ende des Zweiten Weltkriegs geschlagen wurden“ am „architektonische[n] und sentimentale[n] Höhepunkt des 1945 zerbombten Barockensembles“.
Wir sind Bürger, Chemnitz, 03.09.2018
Am frühen Morgen des 26.08.2018 wurde der 35-jährige Daniel H. bei einer Messerstecherei am Rande des Chemnitzer Stadtfestes so schwer verletzt, dass er im Krankenhaus verstarb. Ein Arbeitskollege und dessen Bruder wurden ebenfalls verletzt.
Es gab schnell drei Tatverdächtige. Der Haftbefehl gegen einen 22-Jährigen Migranten wurde vom Dresdner Justizvollzugsbeamten und AfD-Landesvorstandsmitglied Daniel Z. abfotografiert und ab dem 29.08.2018 u.a. auf Facebook rechtswidrig verbreitet, wie auch Fotos, die angeblich einen der mutmaßlichen Täter zeigen. Es wurde die Falschinformation verbreitet, dass Daniel H. eine „deutsche Frau“ vor sexueller Belästigung durch „Migranten“ beschützt habe, während die Ehefrau eines der Attackierten bezeugte, dass der Streit um Zigaretten eskaliert sei. Einer der Tatverdächtigen wurde etwa ein Jahr nach der Tat am 22.08.2019 wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren verurteilt. Der Hauptverdächtige soll sich in den Irak abgesetzt haben.
Bereits am Abend nach der Tat organisierten rechtsextreme Hooligans Demonstrationen, bei denen es zu rassistischen und antisemitischen Ausschreitungen sowie Übergriffen gegen migrantisierte Passant*innen, Gegendemonstrant*innen und Polizist*innen kam. Die Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie Sachsen berichtete von dreißig gemeldeten Angriffen in den Tagen um die Demonstration und verwies auf eine hohe Dunkelziffer. Am 27.08. nahmen ca. 6.000 Personen an den von Rechten organisierten Demonstrationen teil, bei einer Gegendemonstration etwa 1.500 Personen. Am Abend des selben Tages wurde in Chemnitz der Inhaber eines koscheren Restaurants mit Steinen, Flaschen und einer Eisenstange angegriffen. Bei verschiedenen Aufzügen am 01.09. gab es ca. 11.000 Teilnehmende. Erneut gab es Jagden auf migrantisierte Menschen, ein Betroffener musste in die Notaufnahme gebracht werden.
Am Tatort in der Brückenstraße legten Menschen Blumen und andere Trauerbeigaben nieder. Als am 31.08. die damalige Bundesfamilienministerin und einzige ostdeutsche Bundesministerin Franziska Giffey (SPD) nach Chemnitz kam, legte sie ebenfalls hier Blumen nieder. Sie besuchte danach demokratiefördernde Gruppen in der Stadt und forderte ein Gesetz zur Demokratieförderung.
Am Nachmittag des 03.09. während des parallel stattfindenden Konzerts #wirsindmehr standen zunächst nur wenige Menschen am Gedenkort. Ein Mann hielt ein Schild mit der Aufschrift „Wir sind Bürger, keine Nazis. Das Blut von [nicht lesbar] klebt an euren Händen.“ Angehörige, Freunde und Familie von Daniel H. hatten sich wiederholt gegen eine Instrumentalisierung durch Rechte ausgesprochen. Daniel H., dessen Vater Kubaner war, wurde selbst jahrelang Ziel rechter Gewalt und wurde mit dem N-Wort rassistisch beleidigt. „Mit diesen Rechten mussten wir uns früher prügeln, weil sie uns nicht als deutsch genug angesehen haben. Ich bitte Euch, lasst Eure Trauer nicht in Wut und Hass umwandeln“, schrieb ein Freund von Daniel H. auf Facebook.
Am einstigen Tatort wurde am 20.12.2018 von der Stadt Chemnitz auf Wunsch der Familie eine Gedenkplatte angebracht, die nur ein Peace-Zeichen, den Namen Daniel H. und sein Todesdatum enthält. Auf Facebook und Instagram existiert bis heute je ein Account zur „Gedenkstätte Daniel H.“, die bis 2022 Bilder von niedergelegten Blumen posteten. Daneben verwenden die Accounts den Slogan „Wir sind nicht mehr“, wetterten gegen „schiefgelaufene Integrationspolitik“ und verbreiteten weiterhin die Falschinformation, dass Daniel H. eine Frau vor einem Angriff habe schützen wollen.
Waldbrand am Hirschgrund, Sächsische Schweiz, 2018
Die Sächsische Schweiz war ein Zentrum der romantischen Bewegung in Deutschland, viele Künstler*innen und Schriftsteller*innen ließen sich von der Landschaft inspirieren.
Von den Nationalsozialisten wurde die Sächsische Schweiz als Kulisse für Propagandafilme genutzt, was dazu beitrug, dass die Landschaft als Symbol für deutsche Identität und Kultur verklärt wurde. Ein Beispiel für einen solchen Propagandafilm ist „Heimat“ von 1938. Der Film zeigt eine Familie aus der Sächsischen Schweiz, die sich gegen eine vermeintliche Bedrohung durch einen Fremden aus dem Westen wehrt. Dabei werden nationalistische und rassistische Motive bedient und die Familie als Idealbild einer nationalsozialistischen Volksgemeinschaft präsentiert. Diese Filme dienten dazu, die nationalsozialistische Ideologie zu verbreiten und die Menschen in der Sächsischen Schweiz für die nationalsozialistische Sache zu gewinnen. Sie sollten auch das Bild einer heilen und intakten deutschen Volksgemeinschaft vermitteln, das durch angeblich fremde Einflüsse bedroht wird. In einer Zeit, in der viele Menschen in urbanen Gebieten leben, wird die Sächsische Schweiz mit unberührter Natur und ländlicher Idylle in Verbindung gebracht.
Anfang August 2018 brannte am Hirschgrund, in der Nähe der Bastei, auf 4000 Quadratmetern der Wald. Die Löscharbeiten dauerten ca. 24 Stunden. In den folgenden Tagen musste die Feuerwehr erneut mehrmals ausrücken um im schwer zugänglichen Gelände aufflammende Glutnester wieder zu löschen. Dabei legten sie u.a. ein Schlauchsystem von 500-600 Metern Länge, um Wasser aus der Elbe zu pumpen. Auch im Sommer 2022 brannte der Wald im Grenzgebiet von Böhmischer und Sächsischer Schweiz. Insgesamt verbrannten hier 1210 Hektar (1.210.000 Quadratmeter) Land. Die Löscharbeiten dauerten ca. 4 Wochen. Auf deutscher Seite waren bis zu zwölf Löschhubschrauber im Einsatz. 49 Feuerwehrleute wurden verletzt. Wie schon im Jahr 2018 sorgten geringe Niederschläge und hohe Temperaturen im Frühjahr, zusammen mit langen, heißen Trockenperioden im Sommer für ein extremes Waldbrandrisiko. Brandauslöser ist in den meisten Fällen der Mensch: So wurde 2018 in der Nähe des Brandursprungs eine illegale Boofe (kleine trockene Höhle) entdeckt, nebst illegaler Lagerfeuerstelle, Campingstühlen und Ukulelen.
In der Frühlingsstraße, Zwickau, 2021
An dieser Stelle stand das Haus Nr. 26. Im gesamten 1. OG befand sich die Wohnung, in der sich das NSU-Kerntrio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos seit 2007 bis zur Selbstenttarnung im November 2011 versteckten.
Trotz verschiedener Untersuchungsausschüsse, Ermittlungen und des fünfjährigen Prozesses, bei dem Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, bleiben viele Fragen um den NSU-Komplex offen. Neben der Frage, wie groß das eigentliche Netzwerk des NSU wirklich war, bleibt auch unklar, warum Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe 2007 nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in die Frühlingsstraße umzogen und damit ihren bisherigen Lebensstil änderten. Lebten sie bis dahin zurückgezogen, suchten sie nun Kontakt und Bekanntschaften in der Nachbarschaft und unternahmen wochenlange Urlaube, in denen sie Freundschaften schlossen und ihre Handynummern und E-Mailadressen weitergaben.
Am 4. November 2011 legte Beate Zschäpe Feuer, bevor sie die Wohnung verließ, wohl um Spuren zu verwischen. Die dabei durch Brandbeschleuniger entstandenen Gase führten zur einer Explosion und einem großflächigen Brand. Am 23. April 2012 begann der Abriss des Hauses in der Frühlingsstraße 26. Veranlasst durch die Oberbürgermeisterin Pia Findreiß (im Amt von 2008-2020) und gefördert vom Freistaat Sachsen, sollte so das Entstehen einer „Wallfahrtsstätte für rechte Gruppen“ verhindert werden.
Ehrenhain im ehemaligen Kriegsgefangenenlager, Zeithain, 2021
Unter Hitler erstreckte sich das System der Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht über das gesamte deutsche Reich und die von der Wehrmacht besetzten Gebiete. Der heutige Freistaat Sachsen war innerhalb Deutschlands unter den Regionen mit den meisten Kriegsgefangenenlagern. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 trafen bereits am 12. Juli 1941 die ersten Gefangenentransporte im Lager in Zeithain bei Riesa ein. Durch Unterernährung, Kälte, Schikanen, Krankheit und fehlende medizinische Versorgung starben allein hier bis 1945 ca. 30.000 Menschen. 23.754 Todesopfer sind namentlich bekannt.
Am 23. April 2021 fand im Ehrenhain das Gedenken zum 76. Jahrestag der Befreiung des Kriegsgefangenenlagers statt. In Ihrer Rede zum Jahrestag betonte Andrea Dombois (CDU), Erste Vizepräsidentin des Sächsischen Landtags und Landesvorsitzende des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge: „Die Toten des Zweiten Weltkrieges sind unsere historische Schuld, aus der wir Lehren gezogen haben. […] Die seit 1985 bestehende Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain ist heute Symbol der Verantwortung, die wir selbst übernommen haben, um sie im Bewusstsein nachfolgender Generationen wach zu halten und sie auch weiterhin mit Leben zu erfüllen. Mich erfüllt mit Zuversicht, dass es vor allem viele junge Menschen sind, die sich mit unserer Geschichte auseinandersetzen und die Botschaft der Versöhnung wahrnehmen. […] Sachsen hält in hohem Maße an seiner Erinnerungskultur fest.“
2023 erschien der Essay „Versöhnungstheater“ des Berliner Autors Max Czollek. Damit beschreibt er eine Situation, in der Versöhnung nicht von den Opfern als Ergebnis eines Prozesses angeboten wird, sondern von der Gesellschaft der Täter*innen behauptet wird, ohne dass es eine nennenswerte juristische Aufarbeitung gegeben hat.
Vergessen werd ich nie, Hoyerswerda, 2021
Am 17. September 1991 begannen mehrtägige Angriffe durch Neonazis und Symphatisant*innen auf die Unterkunft von Vertragsarbeiter*innen in der Albert-Schweitzer-Straße sowie auf eine Unterkunft für Asylsuchende in der Thomas-Müntzer-Straße. Viele Menschen aus der Nachbarschaft applaudierten, während es Polizei und Politik erst nach mehreren Tagen schafften die Angriffe zu stoppen. Die Asylsuchenden wurden am 21. September auf Heime in der Umgebung verteilt. Fast alle Vertragsarbeiter*innen mussten Deutschland verlassen, unabhängig von ihren eigenen Wünschen und Erfahrungen. Über das Pogrom wurde bundesweit und international berichtet. Hierbei kamen vor allem die Täter zu Wort, sie stellten ihren „Erfolg“ dar Hoyerswerda von Ausländern „befreit“ zu haben. Damit wurde Hoyerswerda Vorbild in der rechtsradikalen Szene. Weitere Pogrome, wie 1992 in Rostock-Lichtenhagen, folgten.
Bis heute wird das damalige Pogrom in der Stadt immer wieder diskutiert. Neben den individuellen Gefühlen geht es dabei vor allem darum, wie mit diesen Ereignissen umgegangen werden soll. 2021 jährten sich die Angriffe zum 30. Mal. Aus diesem Anlass fanden Gedenkveranstaltungen an verschiedenen Orten in Hoyerswerda statt, sie wurden von von bürgerlichen und aktivistischen Initiativen veranstaltet. Am 18. September 2021 sprach David Macou, ein ehemaliger Vertragsarbeiter und Überlebender der Angriffe, bei der Veranstaltung „Vergessen werd ich nie“ in der Lausitzhalle in Hoyerswerda. Macou wurde 2021 das erste Mal offiziell von der Stadtpolitik zu einer Gedenkveranstaltung eingeladen. Der Oberbürgermeister Torsten Ruban-Zeh (SPD) trat ebenfalls auf, erkannte das erlittene Leid der Betroffenen offiziell an und bat um Verzeihung. Dabei tauschten beide Geschenke aus und versicherten einander Verbundenheit und Solidarität.
Völkerschlacht bei Leipzig, Markkleeberg, 2021
Die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 führte zu Napoleons Rückzug aus dem heutigen Deutschland. Frankreich und dessen Verbündete verloren die blutige Schlacht gegen die Truppen der Allianz aus Russland, Preußen, Österreich und Schweden. An der wahrscheinlich größten Schlacht der Weltgeschichte nahmen 530.000 Menschen teil, 90.000 bis 120.000 wurden getötet oder verwundet. Zur Erinnerung wurde 1913 das Völkerschlachtdenkmal fertiggestellt.
Seit den 1980er Jahren stellen Laien in Kostümen und mit umfangreichen Requisiten die Völkerschlacht nach. Mittlerweile kommen die tausenden Teilnehmenden aus ganz Europa, den USA, Kanada und Australien. Der „Verband Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813“ präsentiert die Veranstaltung als Möglichkeit für ein kritisches Gedenken an den Krieg. Teilnehmende sind Teil einer großen vernetzten Szene mit detailreichem Fachwissen. Sie teilen den Anspruch, Uniformen und Abläufe der Schlacht möglichst originalgetreu wieder zu geben.
Gestern. Heute. Morgen ?, Zwickau, 2021
Am 6. November 2021 fand eine Demonstration zum 10. Jahrestag der Selbstenttarnung des NSU statt, initiiert durch den Initiativkreis „Rassismus tötet“ aus Leipzig.
In Redebeiträgen wurden die jahrzehntelange Kontinuität rechtsradikaler Gewalt, sowie der mangelhaften Ermittlungsarbeit gegen Rechts aufgezeigt. Für die Ignoranz gegenüber den Taten des NSU – die Ermordung von Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter sowie die beiden Bombenattentate in Köln mit zahlreichen Schwerverletzten – wurde auch die eigene linkspolitische Szene kritisiert.
Dabei wurde eine breite Aufarbeitung des Untertauchens des NSU in Zwickau und Chemnitz gefordert, sowie der Stadtpolitik und -verwaltung mangelnder Wille zur Aufarbeitung attestiert.
Die Stadt schuf 2019 einen Gedenkhain. Dessen erster Baum wurde bereits nach wenigen Tagen von Unbekannten abgesägt. Daraufhin wurde nicht nur der Baum ersetzt, sondern insgesamt 10 Bäume für alle Ermordeten gepflanzt, die durch Spenden finanziert wurden. Die Eröffnungsveranstaltung wurde von der Initiative „Tribunal NSU-Komplex auflösen“, Angehörigen und Überlebenden kritisiert. Sie hatten nicht an der Veranstaltung der Stadt teilnehmen können, da sie nicht eingeladen worden waren. Zudem wurden einige Namen der Ermordeten falsch geschrieben.
Seit 2023 gibt es konkretere Pläne für ein Dokumentationsforum in Zwickau zur Aufarbeitung der Morde des NSU. Es gibt eine konkrete Finanzzusage der Landesregierung. Ebenso fand bis Anfang März 2023 eine von der Stadt veranstaltete Dialogreihe zur Aufarbeitung des NSU-Komplexes statt.
Spatzennest, Hirschsprung bei Altenberg, 2022
Seit Ostern 1942 mieteten meine Urgroßeltern Margarete und Kurt Bickhardt dieses Haus als Sommer- und Urlaubsquartier. Als am 4.12.1943 Leipzig bombardiert wurde, siedelten ihre zwischen sechs und dreizehn Jahre alten Kinder Hans, Peter, Klaus und Jürgen dauerhaft aus Dresden in die Ferienwohnung um.
Die vier Kinder gingen im nahen Altenberg zur Schule und wurden von Verwandten und Freunden versorgt, die mit ihnen hier lebten. Margarete und Kurt Bickhardt blieben in Dresden und gingen ihrer Arbeit nach. In dieser Zeit entstand in der Familie auch der Spitzname für das Haus, „Spatzennest“.
Kurz nach Kriegsende meldete der Vermieter des Hauses Eigenbedarf an, um ausgebombte Verwandte unterbringen zu können, und mein Großvater ging mit seinen Brüdern zurück in das kriegszerstörte Dresden.
#wirsindmehr, Chemnitz, 03.09.2018
Nach den tagelangen Demonstrationen und rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz nach dem Tod von Daniel H. bei einer Messerstecherei, wurde für den 3. September 2018 dazu aufgerufen, zu einem großen kostenlosen Konzert gegen Rechts nach Chemnitz zu kommen. Die Veranstaltung wurde von der Chemnitzer Band Kraftklub initiiert und vom Stadtmarketing Chemnitz getragen. Sie konnten bekannte Bands wie Die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet und K.I.Z. für einen Auftritt gewinnen. Aus ganz Deutschland und darüber hinaus reisten etwa 65.000 Zuschauer*innen an. Ministerpräsident Michael Kretschmer bedankte sich für das Engagement der Band Kraftklub, die er Monate zuvor noch als „unmögliche linke Band“ bezeichnet hatte.
An den darauf folgenden Tagen gab es weiterhin von Rechtsextremen angemeldete Großdemonstrationen, wie am 7. September mit etwa 2.350 Personen (auf einer Gegendemonstration waren an dem Tag rund 1.000 Menschen) und am 14. September mit 3.500 Personen. Nach einer Auswertung von Twitter war 2018
#WirSindMehr der meistgenutzte deutsche Debatten-Hashtag.
Vereinigtes Schleenhain, Mitteldeutsches Braunkohlerevier, 2021
Der Braunkohleabbau im Mitteldeutschen Revier hat eine lange Geschichte, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. In den folgenden Jahrzehnten wurden zahlreiche Tagebaue eröffnet, um die Kohle für die Energiegewinnung zu fördern. Einer der bedeutendsten im Mitteldeutschen Revier ist der Tagebau Vereinigtes Schleenhain, der 1958 eröffnet wurde und seitdem kontinuierlich Kohle fördert.
Allerdings hat der Braunkohleabbau auch erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und die lokale Bevölkerung. Die sogenannte Auskohlung, bei der der Tagebau bis auf eine bestimmte Tiefe abgebaut wird, hat zur Zerstörung von zahlreichen Dörfern und Landschaften geführt. Inzwischen ist geplant, den Tagebau Vereinigtes Schleenhain zu schließen. Laut einer Pressemitteilung der MIBRAG von 2021 werden durch die Schließung bis zum Jahr 2025 insgesamt 600 Arbeitsplätze wegfallen.
Das Foto zeigt im Hintergrund die Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Lippendorf, das 2010 zu den zehn gesundheitsschädlichsten Kohlekraftwerken in Europa gehörte.
Wutrede, Facebook, 29.08.2018
Stephan Conrad ist Sozialarbeiter im 1997 gegründeten Treibhaus e.V. in Döbeln. Seit 2001 hat der Verein ein Haus in der Bahnhofstraße 56 bezogen und unterhält dort u.a. ein Café mit Veranstaltungsprogramm, eine Migrationsberatung, eine Grafikwerkstatt, eine Servicestelle für Internationale Jugendarbeit und ein Medienbildungsprojekt. Der Verein ist außerdem Träger einer Skatehalle und hat 2017 die Betreuung eines von verschiedenen Sport- und Freizeitgruppen genutzten Hauses in der Döbelner Innenstadt übernommen. Die AG Geschichte forscht seit Jahrzehnten zu Döbeln im Nationalsozialismus und hat dazu u.a. eine App entwickelt.
Nach seinem als Wutrede betitelten Post wenige Tage vor dem #wirsindmehr-Konzert gegen Rechts in Chemnitz wurde Stephan Conrad von verschiedenen regionalen und überregionalen Medien interviewt. Am 11.09.2018 erklärte er dem Leipziger kreuzer, dass er mit dem Post vor allem seinen Freunden auf die Füße habe treten wollen, die nach Leipzig, Dresden oder Berlin gegangen seien. Er sei letztendlich selbst auch auf dem Konzert gewesen, aber betont, dass es Volksfestcharakter gehabt habe und am Samstag danach wieder nur 1.000 Menschen gegen die rechte Gruppe „Pro Chemnitz“ demonstriert hätten.
Im September 2019 versuchte die AfD im Döbelner Stadtrat, eine erneute Förderung des Treibhaus e.V. zu verhindern, indem sie ihm mangelnde politische Neutralität unterstellten. Bereits in den vorangegangen Wochen wetterte sie gegen den Verein an sich und dessen Bildungsarbeit. Auch die CDU stellte sich im Stadtrat nicht klar hinter den Verein, so dass nur ein geringerer Gemeindeanteil an einer regionalen Förderung bewilligt wurde. Daraufhin stellte auch der Kulturkonvent des Kulturraumes Erzgebirge-Mittelsachsen seine Förderung für das kommende Jahr zunächst zurück, sodass ein Großteil der Vereinsarbeit gefährdet war. Am 29.01.2020 wurde die Förderung für das Jahr 2020 schließlich doch bewilligt. Im selben Jahr wehrte sich auch die Landeszentrale für politische Bildung in Brandenburg gegen die Forderung eines AfD-Abgeordneten, politische Bildung müsse neutral sein. Martina Weyrauch von der Landeszentrale stellte im Deutschlandfunk klar, dass sie im Gegenteil dazu verpflichtet sei, im Sinne der demokratischen Grundordnung zu agieren. Überparteilichkeit dürfe nicht mit Neutralität verwechselt werden.