RAFAEL: Was hat dich motiviert, einen Deutschkurs zu besuchen?
VICTORY: Das kam daher, dass Menschen mich einschüchterten, weil ich nicht fähig war Deutsch zu sprechen. Außerdem möchte gern hier als Englischlehrerin arbeiten. In meinem Land habe ich auch gelernt Englisch zu unterrichten. Ich kann auch als Friseurin arbeiten, weil ich meine Haare meistens selber mache. Obwohl ich das nicht gelernt habe.
RAFAEL: Wie wichtig ist es für dich zu arbeiten?
VICTORY: Ich muss einfach arbeiten, um für mich selbst und meine Kinder zu sorgen – und auch um weniger privilegierte Menschen zu unterstützen. Und ich liebe es zu unterrichten. Es ist ein Teil von mir. Ich weiß nicht genau, da ist diese Freude, die von innen kommt; jedes Mal wenn ich unterrichte. Deshalb denke ich, dass ich das schaffen kann.
RAFAEL: Ja, dann solltest du das wirklich machen. Und möchtest du hier in Suhl arbeiten?
VICTORY: Ich denke nicht. Mir ist aufgefallen, dass ich, wenn ich meine Kinder jeden Morgen zum Kindergarten bringe, einen Hügel hoch steigen muss, schwitze, sie da absetze, weiter gehe und mit dem Bus zurück muss. Das ist nicht einfach. Eine Sache, die ich an diesem Ort liebe, ist der Bus. Bloß fährt morgens kein Bus zum Kindergarten. Der erste fährt um 8.49, das ist zu spät.
RAFAEL: Also könnte dieses Problem mit mehr Bussen gelöst werden…
VICTORY: Dieses Problem könnte durch mehr Busse gelöst werden, ja. Ich denke mir allerdings, wenn ich dieses B1-Examen geschafft habe, dass ich dann vielleicht zur Fahrschule gehe. Aber ich denke noch über die Kosten nach, die mit dem Autofahren einher gehen. Ich gebe Geld für alle möglichen Sachen aus. Ich weiß nicht recht, auch wenn ich jetzt kein Auto hätte, könnte ich trotzdem erst mal den Führerschein machen. Wenn ich dann arbeite, werden die Dinge einfacher für mich. Weiterhin denke ich auch darüber nach Thüringen zu verlassen. Zuvor hab ich in Bayern gelebt, in Schweinfurt. Ich lebte dort für vier Jahre. Dann schlossen sie das Camp in dem ich lebte, und sagten uns: „Wenn ihr Papiere habt, müsst ihr euch um eine Wohnung kümmern. Und wenn ihr keine Wohnung bekommt, müssen wir euch verlegen.“ Aber die Orte, an die sie dich verlegen, sind so, dass du eine Stunde laufen musst, um den Bus zu erreichen. Ich dachte also: „Wie stelle ich das mit meinen zwei Kindern an? Ich kann das nicht.“ Daraufhin ging ich zur Caritas und sagte ihnen: „Ihr müsst mich unterstützen, eine Wohnung zu finden. Jetzt habe ich keine Wahl, und werde deshalb alles nehmen, egal wo; wo auch immer meine Kinder zum Kindergarten gehen können“. Während meines ganzen Aufenthaltes in Schweinfurt bekamen sie nämlich keinen Platz. Erst als wir nach Zella-Mehlis kamen, begannen sie mit dem Kindergarten. So kamen wir also hierher. Es war einfacher hier eine Wohnung zu bekommen, als Monate zu suchen. Dennoch denke ich, dass wir wegziehen werden, sobald mein Sohn den Kindergarten beendet. Ich denke, wir werden wegen der besseren Jobaussichten zurück nach Bayern ziehen. Ich denke, dieser Ort ist mehr was für alte Leute.
RAFAEL: Ja, ich habe gehört, es ist die Stadt mit dem höchsten Altersdurchschnitt in Deutschland.
VICTORY: Ja, die älteste Bevölkerung. Es wäre schön, wenn ich eine Wohnung in Schweinfurt fände. Schweinfurt ist ein guter Platz zum Leben, ich kenne Schweinfurt – ich hoffe also noch.
RAFAEL: Wie ist es denn für deinen Sohn im Kindergarten hier?
VICTORY: Ich sehe ihn wie jedes andere Kind. Für mich ist es kein Problem, wenn er mir erzählt, von anderen geschlagen worden zu sein, denn ich halte das für normal. Ich verstehe das. Selbst mit seinem Bruder spielt er in einem Moment friedlich zusammen, um in einem anderen wieder mit ihm zu kämpfen. Wenn er ankommen und mir erzählen würde, die und die Person hasst ihn, bedeutet das für mich nicht automatisch ein Problem.
Aber was wirklich schlimm ist, ist wenn Leute den Hass an ihre Kinder weitergeben – uns zu hassen, weil wir eine braune Hautfarbe haben. Dass Menschen ihre Kinder zu rassistischem Verhalten anstecken, das alarmiert mich sehr. Oft sagte er zu mir: „Schau dir diese Person an.“ – wenn dieses kleine Mädchen mit anderen spielt, wollen diese nicht mit meinem Sohn reden. Das kleine Mädchen verbietet ihnen das. Ich habe bemerkt, dass seit mein Sohn in den Kindergarten geht, sich das kleine Mädchen so verhält. Sie will nicht, dass mein Sohn mit den anderen spielt. Eines Tages kam mein Sohn nach Hause und fragte mich, ob ich wisse, was das kleine Mädchen zu ihm gesagt hat; und zwar, dass sie ihn mit etwas schlagen werde und er dann sterben würde. Ich antwortete ihm: „Du wirst nicht sterben. Ich bin es, die dir das Leben gegeben hat. Ich will das Beste für dich und das Beste wird für dich immer wahr werden.“ Trotzdem treffe ich meistens sehr nette Leute. Die sehen dich und dann mögen sie dich einfach. Es gibt da ein anderes kleines Mädchen im Kindergarten meines Sohnes. Vom Tag an, als wir uns das erste Mal sahen, war sie sehr liebenswert. Ich sah sie einfach nur an und sagte: „Wow!“. Ich liebe dieses Mädchen so sehr, immer wenn ich sie ansehe, lächelt sie. Nur einmal, nur an einem einzigen Tag sah ich sie weinen. Ich fragte mich: „Wer hat dieses Mädchen wohl verärgert?“ Weil es einfach nett ist mit ihr zusammen zu sein; ich habe sie wirklich lieb. Aber ich liebe alle Kinder, weil Gott uns alle gemacht hat. Aber an alle, die mich mich nicht lieben, verschwende ich keine Gedanken. Wer mich mag, den mag ich. Magst du mich nicht, ist mir das egal. Wirklich egal. Was sie über mich denken und sagen, ist ihr Problem. Was ich weiß, ist, dass ich meine Grenzen nicht überschreiten werde, mich nicht mit dir anlegen werde; ich denke nicht daran. Selbst wenn mich – wie so oft – jemand herausfordert. Sie wollen, dass du dich rächst. Sie wollen einen Raum, um sich mit dir in die Haare zu bekommen, sie suchen die Missverständnisse. Aber da bin ich nicht dabei. Ich ziehe es vor ruhig zu bleiben. Ich übersehe solche Sachen lieber; ich habe einfach kein Problem mit anderen. Im Speziellen habe ich kein Problem mit Menschen zusammenzuleben. Also, egal was für eine Person du bist, ich kann mit dir umgehen. Ich hatte Philosophie in der Schule – ich kann dich beobachten, erkennen was für eine Art Mensch du bist. Dann weiß ich, was ich machen kann und was nicht geht und wie ich dich nicht beleidige. Ich mag keine Situationen in denen gestritten wird, dass ich dafür bekannt werde zu streiten. Ich möchte immer das Beste tun, egal wo ich bin. So, dass immer, wenn ich irgendwohin gehe, die Leute sagen werden: „Ah, ich erinnere mich an dieses Mädel, sie war eine Nette.“ Das ist Kern meines Wesens. Was andere über mich denken, zählt nicht wirklich. Ich mache mir eher Gedanken darüber, wie Gott mich beurteilt, denn Er ist der Schöpfer. Also, egal was sie über mich denken, das ist allein ihr Problem. Solange es mir gut geht, es meinen Kindern gut geht, sie es gemütlich haben, ist alles gut für mich.
RAFAEL: Was denkst du im Allgemeinen über die Gesellschaft hier, darüber wie Menschen zusammen leben?
VICTORY: Verglichen mit meinem Land ist das hier ein guter Ort zum Leben. Deutschland ist im Großen und Ganzen gut organisiert, das kann man schon fast nicht mit anderen europäischen Staaten vergleichen. Egal was die Deutschen tun, alles ist so sehr organisiert, alles ist systematisiert. Ehrlich, dafür liebe ich dieses Land sehr. Ich liebe es. Angenommen Deutschland wäre ein englischsprachiges Land – das wäre so toll. Ich kann allerdings nicht viel darüber sagen, wie die Leute hier zusammen leben.
RAFAEL: Du triffst nicht so viele Leute, die Englisch sprechen?
VICTORY: Ja, nur ein paar Leute. Als ich anfänglich herkam, fragte ich immer wieder: „Do you speak English?“, „Do you speak English?“. Später ging mir auf, dass wenn ich weiter „Do you speak English?“ frage, ich die Sprache nicht lernen werde. Ab diesem Punkt machte ich meine Amtsgänge selbst, um zu sehen, ob ich die Sprache richtig spreche oder nicht. Ich merkte, dass die Leute die richtiges Deutsch sprechen mich verstehen. Bei mir ist es so: Wenn ich jemanden ein Wort sagen höre, versuche ich beim nächsten Mal wenn ich es höre schon die Bedeutung zu kennen.
Oder wenn ich ein Hinweisschild lese, dann versuche ich immer zu verstehen, was das bedeutet. Wenn ich dann jemanden dieses bestimmte Wort das nächste Mal sagen höre, dann weiß ich; das ist die Bedeutung von diesem Wort. So lerne ich.
RAFAEL: Was wünscht du dir für dein eigenes Leben?
VICTORY: Oh, mein Wunsch ist, einen Job zu bekommen und mit einem Mann in einem Zuhause zusammen zu leben. Weil es nicht einfach ist mit zwei Kindern allein zu leben. Weißt du, alleinerziehende Mutter zu sein, ist wirklich nicht einfach – du machst alles selbst. Ich bin eine starke Frau, ich bin ganz alleine stark, ich kann alles schaffen. Und es macht mich nicht müde mich um meine Kinder zu kümmern, weil ich Kinder von Haus aus liebe. Ich habe einfach eine spezielle Liebe für Kinder, deshalb ist es für mich kein Problem mich um sie zu kümmern. Das Problem ist sie nach draußen zu bringen – sie wollen oft draußen spielen – aber ich bin nicht der Typ, der viel nach draußen geht. Ich versuche es zu werden, aber keine Ahnung – irgendwie klappt das nicht. Meine Kinder wollen immer nach draußen. Ich bräuchte jemanden, der sie zum Spielen mit nach draußen nimmt. Sie spielen gern mit einer Person für zwei Stunden, wenn diese sich mit ihnen beschäftigt. Deswegen habe ich das Gefühl, dass ihnen etwas fehlt, weißt du? Ich denke, darum ist es besser, wenn ich mit einem Mann zusammen lebe. Wenn wir alles gemeinsam zahlen würden, könnten wir machen, was wir wollten. Darum sage ich, dass ich gern einen Mann im Haus haben würde. Und ich hoffe wirklich, dass mein Traum eines Tages wahr wird – und ich in einem Klassenraum stehe, um zu unterrichten. Ich kann es kaum erwarten! Mein Wunsch ist, ein großartigeres und besseres Ich zu werden und Leuten ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
RAFAEL: Gibt es Veränderungen, die du hier gerne sehen würden?
VICTORY: Es wäre toll, wenn es einen Bus um 7 Uhr morgens gäbe, der zum Kindergarten fährt. Eine andere Sache ist mir aufgefallen; die meisten Leute, die Hunde haben, lassen ihre Hunde nachts überall hin koten, ohne den Kot einzutüten. Sie lassen es einfach wie es ist. Wenn sie tagsüber jemanden sehen, packen sie den Kot ein. Aber wenn nachts niemand zuschaut, lassen sie ihn einfach liegen. Ich denke, dies ist nicht das Land, in dem man so was einfach machen kann. Nein, Deutschland ist besser als das, ich mag das nicht. Das ist nicht richtig. Und ich möchte, dass meine Kinder in ihrem jungen Alter anfangen Fußball zu spielen; mein erster Sohn ist fünf und der Kleine wird vier diesen Monat. Ich denke also, ich möchte, dass sie zum Fußballverein gehen, um Fußball zu spielen. Ich möchte nämlich das Beste für sie – die Möglichkeiten, die ich nicht hatte. Ich möchte nicht, dass sie irgendwas davon verpassen.
RAFAEL: Welche Möglichkeiten meinst du?
VICTORY: Oh, als ich aufwuchs, verlor ich meinen Vater in einem sehr zarten Alter. Als ich in der Grundschule war, in der dritten Klasse. Und dann bin ich barfuß zur Schule gegangen, ohne Schuhe oder was auch immer. Ich war immer noch Klassenbeste, niemand konnte mir diesen Rang streitig machen. Aber als mein Vater krank wurde, wollte uns niemand etwas zu essen geben. Wir waren allein; auf uns selbst gestellt. Wir bettelten an verschiedenen Häusern: „Bitte, können Sie uns zu essen geben?“ Sie sagten: „Wir haben nichts zu essen.“ Manchmal gaben sie uns zu essen, sagten aber: „Kommt nicht wieder her! Nur weil wir euch heute zu essen geben, kommt das nächste Mal nicht wieder hier her.“ Wir sagten: „Ok, ok. Ja, Madam. Ja, Madam.“ Danach waren wir glücklich, selbst wenn die Leute sich so verhielten. Ich versuche mich an diese Zeit zu erinnern: so viele Dinge passierten – zu viele Dinge passierten. Aber ich glaube an Gott. Egal was passiert, egal ob mir jemand droht, das kümmert mich nicht. Was mich kümmert, ist was Gott über mich sagt. Selbst wenn Gott mir meinen Traum nicht erfüllt. So lange ich atme, zwei Beine zum Laufen habe und zwei gesunde Hände, bin ich völlig in Ordnung. Ich habe allen Grund dankbar zu sein. Aber ich bete, dass Er meinen Wunsch erfüllt.
Ich möchte mich wirklich für die weniger Privilegierten einsetzen. Für jene, die nichts haben. Ich möchte geben können, wenn mich jemand um etwas bittet. So bin ich einfach, wenn mich jemand um etwas bittet und ich gebe es ihm nicht, verurteilt mich mein Gewissen: „Aber du hast doch, worum man dich bittet. Warum sagst du der Person, du hättest diese Sache nicht?“ Ich möchte mich für Waisen engagieren. Waisen, die unterprivilegiert sind und so weiter. Weil ich weiß, wie es ist nichts zu haben; weil ich da durch gegangen bin. Die meisten Leute haben Schwierigkeiten mich zu verstehen. Aber wenn du dich einer Person nicht wirklich näherst, weißt du nicht wie sie wirklich ist. Was ich den Leuten sagen möchte, die das hier lesen: Ihr müsst Gott vertrauen. Weil Er der Erschaffer ist, der selbst nicht geschaffen wurde. Er weiß alles, von Anfang bis Ende. Das ist, was ich verstehe; Er ist unsere einzige Hoffnung. Wir könnten unser Vertrauen in die Menschen setzen – sie werden uns enttäuschen. Nur Gott enttäuscht nie. Nur Gott.