RAFAEL: Du wohnst hier in der Gegend?
PETAR: Ja, in Suhl-Nord in der Großen Beerbergstraße. Eine schöne Straße.
RAFAEL: Eine schöne Straße?
PETAR: Nein. Ich meine, ich bin seit langem hier. In der Großen Beerbergstraße wohne ich seit 5 Jahren.
RAFAEL: Aber warum ist es in der Großen Beerbergstraße nicht so gut?
PETAR: Wegen der Leute. Aber das gibt es ja immer, diejenigen, die immer Probleme machen wollen oder Streit haben wollen. Gibt es ja glaub ich überall, das liegt nicht an der Straße. Aber das Ding ist: Auf der Großen Beerbergstraße gibt es auch viele Ausländer. Darunter sind welche ein bisschen aggressiv und deswegen habe ich meistens auch Probleme. Also wenn ich Streit habe oder irgendwas, mit Nachbarn und so, ist das dort immer mit Leuten vom Ausland. Aber das ist glaub ich normal überall. Davor war ich ein paar Monate in Zella-Mehlis. Vorher war ich in der Stadt, im Zentrum, aber nur zwei, drei Monate. Anfang 2013 bin ich nach Deutschland gekommen.
RAFAEL: Kamst du da allein nach Suhl?
PETAR: Nein mit meiner Familie. Mutter, Vater, Schwester. Ich habe auch Onkel, Tante hier, Cousine. Am Anfang war es schwer. Anderes Land, andere Sprache, andere Leute, andere … ich konnte am Anfang gar nichts. Am Anfang als ich angekommen bin, war alles was ich sagen konnte: „Hallo, hallo“. Das war‘s.
Erster Schultag, ich komm ins Klassenzimmer. Die Lehrerin meinte vor der ganzen Klasse: „Ja, das ist der neue Schüler, Petar. Der soll sich jetzt vorstellen.“ Ich steh einfach so vor der Klasse, ich kann kein Wort sagen. Am Anfang ist es schwer.
RAFAEL: Hat sie vorher nicht mit dir geredet, die Lehrerin?
PETAR: Sie hat ja was gesagt, aber das Ding war: Ich hatte damals fast kein Wort verstanden. Und ich habe auch nicht verstanden, dass sie gesagt hat, dass ich mich vorstellen soll. Ich versteh das jetzt, weil jetzt weiß ich, was sie damals gesagt hat. Ich stand einfach so vor der ganzen Klasse, alle gucken mich an und ich so: „Hmm? Ja was soll ich jetzt machen?!“
Obwohl ich davor zwei oder drei Monate Deutschkurs gemacht hab. Aber das hat nicht viel geholfen. Eher deutsches Fernsehen, die Filme und so was. Auch mit Freunden draußen sein, so habe ich gelernt. Obwohl, für 7 Jahre, ist mein Deutsch auch nicht so gut, immer noch. Aber man kann doch immer weiter lernen und sich verbessern.
RAFAEL: Und hattest du in der Schule auch Probleme mit anderen Schülern?
PETAR: Bei mir finden die ja immer etwas. Erstens, weil ich Ausländer bin, zweitens, weil ich schwul bin, drittens ich weiß nicht, aber die finden immer was. Ja, am Anfang war das schwer für mich. Also drei Jahre lang habe ich viele Probleme gehabt. Danach nicht mehr.
RAFAEL: Wieso, was hat sich dann geändert?
PETAR: Was hat sich geändert? Ich habe einfach gelernt, ich muss nicht alles was die Leute sagen so ernst nehmen. Weil am Anfang, da war ich noch 14, 15, da war ich noch kindlich. In der Schule, da habe ich auch Probleme gehabt, meistens mit Kindern. Mit Lehrern hatte ich nie Probleme. Aber mit Kindern schon öfter.
RAFAEL: Und die Lehrer, haben die da geholfen?
PETAR: Ach doch. Die haben immer gefragt: „Können wir helfen? Können wir was machen?“ Die haben auch immer was gemacht. Also die haben das nicht einfach so gelassen. Wenn die sehen, dass es da was gab, dass die mit mir Streit machen. Aber für mich war das trotzdem schwer. Da bin ich für lange Zeit nicht zur Schule gegangen und bin zu Hause geblieben.

War bei Psychologen und so weiter. Ich war auch auf drei Schulen. Erst war ich in Zella-Mehlis. Dann war ich in der Paul-Greifzu-Schule. Da war ich für das ganze Schuljahr vielleicht zwei Wochen in der Schule. Maximum. Und danach habe ich jetzt letztes Jahr meinen Hauptschulabschluss gemacht in Zella-Mehlis, im SBBZ, in der Berufsschule. Aber da ist das einfach anders. Da gibt‘s auch nicht so viele Kinder wie in den anderen Schulen. Da sind meistens so – Erwachsene will ich auch nicht sagen, aber die sind “professioneller“. Jeder guckt nach seinen Sachen. Keiner interessiert sich dafür, was die anderen machen. Die kommen da zum Lernen hin und gehen dann nach Hause. Und nicht: „Guck, was die macht. Guck, was der macht.“ Das finde ich gut. Die Direktorin hat auch Regeln aufgestellt. Die anderen Schulen haben auch Regeln, aber nur auf Papier, keiner hat die je kontrolliert.
RAFAEL: Was für Regeln zum Beispiel? Was sind das für Regeln, die jetzt helfen?
PETAR: Also ja, dass man zum Beispiel nicht rassistisch sein sollen. Man soll einfach kein unnötiges Leid – oh Gott, die Sprache – also keinen Streit machen einfach für gar nichts. Also wenn es wirklich was gibt, dann soll man das trotzdem nicht so mit sich allein ausmachen, sondern zur Lehrerin gehen, zur Direktorin. In den anderen Schulen, da waren einfach Schlägereien und weiß ich nicht. Zum Beispiel an der Paul-Greifzu-Schule, da war alles viel zu locker, würde ich sagen. Für die Schüler. Auch für die Lehrer.
RAFAEL: Also waren da Leute immer gegen Ausländer und auch gegen Schwule?
PETAR: Ja, mich hat beides getroffen. Deswegen war es für mich am Anfang viel schwerer als für andere Kinder, würde ich sagen, weil bei mir war es wegen beidem. Weil die sagen: „Du bist Ausländer, du bist auch schwul, also“ – ich war so wie eine Zielscheibe für jeden, der ich weiß nicht… Aber wie gesagt, jetzt habe ich gelernt, dass ich die gar nicht so ernst nehmen muss. Da rein, da raus. Fertig. Am Anfang, da war ich wie gesagt noch 14, 15, da war ich Kind, da habe ich jedes Wort ernst genommen. Und wenn man in der Schule Probleme mit den Leuten hat, dann ist das natürlich schwierig. Weil wenn jemand auf der Straße ist, dann kannst du einfach vorbei laufen, das interessiert dich nicht. Aber wenn du in der Schule bist, dann ist da die Klasse, wo du jeden Tag hin musst. Ob du willst oder nicht. Wenn es da solche Leute gibt, dann ist das ein bisschen doof.
RAFAEL: Und haben dir da andere manchmal geholfen?
PETAR: Ja, Freunde. Freunde hatte ich auch viele, Gott sei Dank! Auch Lehrer. Sie haben nie das so laufen lassen, wenn jemand mit mir Streit wollte, oder wenn mich jemand beleidigte. Die haben immer was gesagt. Obwohl… wie gesagt, ein paar waren ein bisschen… Also die Lehrer haben nie was direkt gesagt, weil die dürfen das eigentlich nicht. Die sollen einfach Lehrer sein, die sollen professionell sein. Aber man merkt das trotzdem. Manche Lehrer, die waren ein bisschen so, dass die mit manchen Schülern so komisch umgehen. Keine Ahnung. So direkt haben sie nie was gesagt, wie die Mitschüler zum Beispiel.
RAFAEL: Hm. Aber wie komisch umgehen?
PETAR: Naja, zum Beispiel wenn jemand anderes aus der Klasse was fragt, dann erklärt das sie. Und wenn der ein zweites Mal fragt, ein drittes Mal, viertes Mal, erklärt sie das jedes Mal. Wenn ich aber zweimal was frage, dann ist das ein Problem: „Verstehst du das nicht? Musst du fünf Mal fragen?“ Und so weiter. Aber das sind Kleinigkeiten.
RAFAEL: Aber ist ja eine ungleiche Behandlung.
PETAR: Ja. Aber ich mein, das haben die nicht nur mit ausländischen Kindern gemacht, sondern auch allgemein. Suhl ist auch so eine kleine Stadt. Das finde ich auch nicht gut. Ich will aus Suhl wegziehen. So schnell wie möglich. Ich meine, die Stadt ist gut, aber viel zu klein. Solche Städte, wo jeder jeden kennt – keine Ahnung, das gefällt mir einfach nicht.

RAFAEL: Wird man dann mehr beobachtet, oder so?
PETAR: Ja auch. Aber, auch – wie soll ich das erklären? Es gibt ja Leute, die in Suhl schon 10, 15 Jahre sind. Und wie gesagt, weil die Stadt so klein ist, kennt sie die ganze Stadt. Und wenn jemand z.B. über mich, der drei, vier, fünf Jahre da ist, sagt: „Der hat das und das getan und das und das gemacht. Der ist ein schlimmer Mensch!“, dann glauben sie natürlich dem, der hier seit langem ist und sagen: „Ja, ich kenne ihn seit Jahren. Der würde mich nicht anlügen!“ Das Ding ist, die Leute glauben so was. Die haben voll viele Vorurteile – also über Leute generell. Nicht nur über Leute wie mich, sondern allgemein. Über ausländische Leute, aber auch über nicht ausländische, allgemein. Voll viele Vorurteile. Zum Beispiel sehen die jemanden, der nur in schwarz angezogen ist und sagen: “Oh, der ist Neonazi“, oder: „Der ist ist satanistisch“, oder was weiß ich für Dummheiten. Erstens finde ich es komisch und traurig. Das kann ich nicht verstehen, weil was haben denn zum Beispiel deine Klamotten damit zu tun, ob du nett bist? Was hat das für einen Sinn? Dass die Leute so viele Vorurteile haben, das merkst du hier überall, auch auf der Straße. Die schreien manchmal, das kannst du dir nicht vorstellen. Manchmal versteh ich gar nicht, was die sagen, weil die schreien in verschiedenen Sprachen. Deutsch, Arabisch, weiß auch nicht. Klar, in großen Städten, da gucken dich die Leute nicht so viel an. Weil es ist ne große Stadt, es gibt viele Leute, verschiedene Leute. Ich bin manchmal in Würzburg, da gibt es auch Queers. Da habe ich auch viele auf der Straße gesehen. Da ist niemand so wie hier. Hier gibt es auch manchmal Leute, die machen auch Fotos von mir.
RAFAEL: Echt? Krass.
PETAR: Aber ich nehme das einfach als Spaß. Was kann ich auch machen? Soll ich mit denen Streit machen wegen einem Foto? Ich nehme das einfach als Kompliment, dass ihr von mir Fotos macht. Als ich 14 war damals, wenn da jemand von mir Fotos gemacht hätte, dann hätte ich vielleicht geweint. Oder ich weiß nicht, was ich gemacht hätte. Die beleidigen einen auch. Im Bus. In der Schule damals. Auf der Straße. Auch wo ich gearbeitet habe früher, da gab es auch Kunden, die ein bisschen so waren, also nicht so freundlich sozusagen. Auf der Straße gibt es das viel. Da hätte ich so oft Streit gehabt. Auch hier in der Großen Beerbergstraße habe ich öfter mit Nachbarn Probleme. Was ich komisch finde, das sind so Leute, die schon 30, 40 sind. Sie sind keine Kinder. Wenn jemand zum Beispiel 17, 18, 19 ist, der ist Teenager, klar, normal. Aber das ist jemand, der mein Vater sein könnte. Und der kommt zu mir und sagt solche Sachen, das kann ich nicht verstehen. Das ist mir auch einmal passiert, in einem Bus, da war eine Frau, die war so – ja klar, wie kann ich das sicher wissen, aber die sicherlich so 30 Plus, 40 Plus. Die sollten doch wie Erwachsene denken.
Das, was mich richtig nervt, ist nicht, wenn sie was über mich sagen, sondern wenn sie was über zum Beispiel Freunde sagen oder meine Familie oder Schwester oder Tante. Dann kann ich ausrasten. Wenn sie was über mich sagen, dann interessiert mich das nicht so sehr. Weil das ist ja jemand, den sehe ich jetzt auf der Straße und dann vielleicht nie wieder. Aber es ist schwer.
RAFAEL: Gehst du dann deswegen auch nicht so gern raus?
PETAR: Ach doch, ich bin immer draußen, in der Stadt, auch hier. Ich geh auch ins Zentrum. Aber meistens geh ich nach Zella-Mehlis, da finde ich es besser. Beim Media Markt. Weil da war ich auch lange, das ganze letzte Schuljahr. Meine Schule war dort, da habe ich auch Freunde, da habe ich auch Bekannte. Da geh ich auch öfter spazieren. Zuhause bleib ich nicht viel, weil früher, in dieser Periode, wo ich gar nicht in der Schule war, da war ich jeden Tag Zuhause. Nee, deswegen bin ich immer draußen. Aber das Ding ist, es gibt immer diese Leute. Und ich will mit keinem Streit machen, aber das Ding ist, die sagen zum Beispiel nicht nur einfach was im Vorbeilaufen, sondern die laufen mir hinterher. Also wollen die wirklich wirklich Streit machen, das nervt dann halt.

Es ist eine Sache, wenn der da ist, ich da bin und ich lauf einfach durch und er sagt was, dann lauf ich einfach weiter und fertig. Aber manche laufen mir ja hinterher und sagen dann die ganze Zeit was und wollen nerven. Ich probiere mich so zurück zu halten, aber manchmal klappt es nicht. Das soll auch nicht sein, weil Aggression ist doch auch keine Lösung. Aggression macht noch mehr Aggression.
RAFAEL: Gibt es dann auch manchmal andere Leute, die sagen: „Was soll das?! Lauf da nicht hinterher!“
PETAR: Also Leute, die mir helfen wollen? Ja, gab es auch. Einmal im Bus. Also mit dieser Frau, von der ich erzählt habe, die so ein bisschen älter war. Da war noch eine Frau. Die hat gesagt: „Was interessiert Sie das, was er macht, wohin er geht? Er hat Ihnen nichts Schlimmes getan oder so!“ Sie hat gesagt „Wenn es jemanden gibt, der ihm was sagen kann oder soll, dann sind das seine Eltern und nicht nicht Sie!“ Das ist ja auch so, wenn meine Eltern mir nichts sagen oder wenn meine Eltern nichts dagegen haben, warum sollen die dann was sagen. Jeder hat seine Meinung und jeder hat das Recht seine Meinung zu haben. Aber was ich komisch finde: Die kommen zu mir, nur um mir zu sagen, dass sie mich nicht mögen. Ich so: „Ja, was soll ich jetzt machen? Soll ich jetzt für dich singen und tanzen?“ Ist doch normal, ich mag auch nicht jeden. Es muss auch nicht jeder mich mögen. Aber wenn ich jemanden nicht mag, dann will ich mit dieser Person gar nicht reden und auch keinen Kontakt haben. Ich geh nicht zu ihm: „Weißt du, ich mag dich nicht!“ – Hä? Ja es gibt auch Leute, die sagen, dass das nicht richtig ist. „Das ist nicht gut für ihn“, oder dass die mich in Ruhe lassen sollen. Auch einmal der Busfahrer; in der Schule die Lehrerin, bei der Arbeit meine Kollegin…
RAFAEL: Aber denkst du, müssten so was mehr Leute machen?
PETAR: Eigentlich ja. Aber, wie gesagt, wenn die so was sehen, aber ihre Ruhe haben wollen oder sich nicht da einmischen, können sie das auch. Also, die sollen nicht unbedingt was sagen. Aber wenn ich z.B. so was sehe, dann mach ich immer was. Also wenn ich helfen kann irgendwie, oder es wenigstens probieren, dann würde ich es auch machen. Wie gesagt: sie müssen nicht. Aber es gibt auch viele Leute die, in dem Moment wo der Streit war, nichts gesagt haben. Und dann, wenn das vorbei war, kamen die zu mir und haben gefragt: „Geht es dir gut? Ist alles okay?“ Solche Leute meine ich auch. Die sind auch gegen so was, aber die würden sich nicht einmischen. Das finde ich auch gut, dass sie wenigstens danach kommen und fragen: „Ist alles okay? Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung? Lass die einfach.“ Aber so oft passiert das auch nicht. Weil in Suhl gibt es auch viele ältere Leute, und ihr wisst ja wie die sind. Die sind ja ein bisschen eine andere Generation. Die denken auch ein bisschen anders.
RAFAEL: Wahrscheinlich auch nicht alle …
PETAR: Nicht alle, zum Beispiel meine Kollegen. Weil ich habe ja beim Marktplatz gearbeitet, in einem Friseursalon, und da waren auch manche von meinen Kollegen schon ältere Leute – nicht ältere, aber die waren schon 40, 50 Plus. Die waren aber ganz lieb, ganz nett. Die haben mich jedes Mal gegrüßt. Also wenigstens die haben nichts gesagt, also die waren nie böse. Man kann nicht sagen, dass alle gleich sind. Zum Beispiel, dass alle nett sind oder dass alle schlimm sind oder so. Aber wie gesagt, ich denke immer noch, das ist, weil die Stadt so klein ist. Deswegen will ich woanders hin. Aber auch nicht nach Berlin zum Beispiel. Nach Berlin würde ich auch nie gehen, weil da ist es viel zu viel, zu groß, viel zu laut. Aber so was in der Mitte, zum Beispiel Leipzig, zum Beispiel Würzburg, zum Beispiel Nürnberg würde ich auch sagen. Das ist auch groß, aber nicht zu groß. Aber ich habe auch viel Schlimmeres gesehen. Zum Beispiel bei uns in Bulgarien ist das fünfmal schlimmer als hier. Und deswegen will ich da auch nicht hin gehen, obwohl es meine Heimat ist. Aber nach so vielen Jahren auch … Hier finde ich es besser. Auch die Schule ist besser, auch das Leben ist besser, die Leute sind viel netter als bei uns. Weil wenn die hier Vorurteile haben, haben bei uns die Leute … noch mehr Vorurteile. Da ist es noch schlimmer.

RAFAEL: Aber findest du es schade, dann wegen so was aus Suhl weggehen zu müssen?
PETAR: Ja, weil ich würde hier bleiben. Nur wegen der Leute ist das. Sonst finde ich die Stadt gut. Es gibt auch viel Schönes. Es gibt auch Orte, wo man spazieren gehen kann. Es ist auch ruhig, das ist das Ding. Aber was bringt mir das, wenn ich so eine Ruhe habe, aber ich kann meine Ruhe nicht haben wegen der Leute. Dann ist das sinnlos. Dann habe ich eh keine Ruhe. Oder soll ich mich irgendwo im Wald verstecken, wo es keine Leute gibt? Das könnte ich auch nicht, weil ich bin immer so irgendwo draußen mit Leuten. Spazieren, mit Leuten reden. Ich bin ein sozialer Mensch. Es gibt ja auch Leute, die reden nicht so gern mit fremden Menschen. Ich habe auch so Freunde, die gehen nur mit Leuten raus, die sie kennen, zum Beispiel mit mir. Aber so raus gehen und jeden ansprechen, das ist nichts für die. Aber ich bin so, ich kann mit jedem reden.
RAFAEL: Ja dann ist es blöd.
PETAR: Ich finde es schade. Aber auch eine Arbeit zu finden ist hier auch viel zu schwer; für jemand wie mich jetzt momentan. Weil du fragst überall – und ich weiß nicht, weswegen. Aber entweder ich hab einfach Pech, oder …
RAFAEL: Ja, ist schon nicht unwahrscheinlich, dass sie auch Vorurteile haben, wenn dir das sonst auch so geht.
PETAR: Denk ich mir auch oft und bin ich mir auch fast sicher, dass es so ist. Oder vielleicht auch weil es hier nicht so viele Stellen gibt? Keine Ahnung, ich habe überall gefragt. Ich habe beim Tedi gefragt. Hier gefragt, da gefragt, dort gefragt. In großen Städte, da gibt es auch mehr Arbeitgeber. Zum Beispiel wenn du da und da und da fragst und die sagen nein, dann fragst du noch bei der vierten und fünften Stelle und die sagen dann ja.
RAFAEL: Und die Arbeit, die du schon hattest ging auch nicht mehr?
PETAR: Das war nur so nebenbei. So ein Minijob, den habe ich gleichzeitig mit meiner Schule gemacht. Ich habe dort Praktikum gemacht und dann habe ich dort gearbeitet. Aber das war nur so 5, 6 Monate, glaub ich. Also gar nicht so lang.
RAFAEL: Und willst du noch irgendwas erzählen, was du dir wünschst für deine Zukunft?
PETAR: Ja, meine Ausbildung zu machen. Eine Arbeit finden. Das ist mir jetzt im Moment wichtig, Arbeit zu finden. Weil ich will eine Ausbildung machen, aber das ist eine dieser privaten Ausbildungen, eine Ausbildung die ich bezahlen muss. Dafür muss ich halt wenigstens ein Jahr arbeiten, wenn nicht mehr. Ein bisschen Geld auf die Seite legen. Und dann will ich diese Ausbildung machen als Kosmetiker. Dann wenn ich die Ausbildung schon gemacht habe, dann geh ich sicherlich woanders hin, um Arbeit zu finden, eine Wohnung zu finden, einen Führerschein zu machen, weil ich bin schon 19 plus, und ich habe immer noch keinen Führerschein.
Und klar, ich wünsche mir gesund zu sein. Was kann man sich noch mehr wünschen? Wie gesagt, jetzt habe ich auch Schwierigkeiten damit, Arbeit zu finden. Aber ohne Arbeit geht es ja gar nicht. Ich habe auch solche Nachbarn, aber ich mag das nicht. Ich habe auch nie in den sieben Jahren, die ich da bin, was vom Staat bekommen, meine Eltern haben nur Kindergeld bekommen. Vom Jobcenter bekomme ich kein Geld, aber ich will auch nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen nur zu Hause zu bleiben einfach. Jetzt kann ich eigentlich alles arbeiten. Wenn du wirklich suchst, dann kannst du alles arbeiten, wo du die Möglichkeit hast. Weil das ist auch nicht, was ich das ganze Leben lang arbeiten werde. Sondern nur jetzt, weil ich brauche Geld, um weiter Schule und Ausbildung zu machen.
Jetzt letztes Jahr, da musste ich meine halbe 6te und 7te und 8te und 9te Klasse in einem Jahr machen. Habe ich auch gemacht, Gott sei Dank habe ich das geschafft. In diesen drei Schuljahren war ich gar nicht in der Schule. Und hatte auch Probleme mit dem Sozialamt. Ja, das ist Deutschland.

Aber, ich finde das gut, deswegen sage ich, dass es hier besser ist. Weil die halten sich an die Regeln, auch für Kinder. Also 100%ig. Wenn das bei uns gewesen wäre, hätten die gar nicht gefragt, wo du bist oder warum du nicht zur Schule kommst. Die rufen Zuhause zwei dreimal an, um deine Mutter zu fragen, aber die fragen nicht: „Ist alles in Ordnung?“ Die fragen vielleicht „Ist was passiert? Warum kommt er nicht?“ Und wenn du zwei drei Mal nicht antwortest, rufen die gar nicht mehr an. Also die interessieren sich einfach nicht dafür.
RAFAEL: Denkst du eigentlich, du hättest ohne diese Probleme durch andere Leute einen besseren Schulabschluss haben können?
PETAR: Ja, vielleicht hätte ich früher nicht so viele Probleme in der Schule gehabt und auch nicht für drei Jahre keine Schule gemacht. Ja, wenn die Leute nicht so gewesen wären sicherlich. Oder? Nee, das hat eigentlich nichts mit den Leuten zu tun, sondern mit mir, weil wenn ich damals so gedacht hätte wie jetzt, dass ich nichts zu ernst nehmen soll, oder jemand hätte mir gesagt, dass ich die Sachen nicht so ernst nehmen soll, dann hätte ich das damals auch nicht ernst genommen.
RAFAEL: Aber das kann man auch nicht wissen, wenn man erst so jung ist.
PETAR: Ja, wenn man 14, 15 ist. Mit dem Mobbing und allem. Aber vielleicht auch wenn ich ein bisschen stärker gewesen wäre sozusagen, oder wenn die Leute auch nicht so gewesen wären, dann…
RAFAEL: Aber ich finde, dann solltest du dir nicht selber die Schuld geben, dass du nicht „stark genug“ warst oder so, wenn jemand anders was gegen dich sagt.
PETAR: Ich schiebe das darauf, dass ich damals klein war, dass ich kindlich war, weil ich ein Kind war. Normal, logisch. Aber trotzdem gibt es Kinder – ich habe auch Kinder kennengelernt, die sind 13, 14, 15, und jemand hat zu denen gesagt: „Du bist so oder du bist so.“ Und die: „Hast du ein Problem damit?!“ Die waren gar nicht wie ich damals. Und ich hab mich viel verändert, 180 Grad von damals bis jetzt. Aber was ich nicht gut finde ist, dass Leute wie ich zum Beispiel sich verändern, sie werden dann viel aggressiver. Und zwar, damit sie sich schützen können. Aber das finde ich auch nicht gut. Aber ja, das ist wie ein Schutz für sie. Wenn jemand kommt und sagt, die sollen irgendwie zeigen, dass sie „stark“ sind, das finde ich auch nicht gut. Weil ich habe habe das selber gesehen, ich habe Freunde, die ich seit langem kenne, also seit wir Kinder waren, seit dem Kindergarten in Bulgarien noch. Und die sind auch so wie ich. Frauen und auch Männer kenne ich. Und die sind so geworden; keine lieben Menschen, sondern wenn jemand zu ihnen kommt und sagt: „Oh du bist dies und du bist das und warum bist du so?“ Dann bauen sie sich so auf und fragen so: „Hä, was willst du?!“ Das finde ich auch nicht gut, weil wie gesagt, das ist ja auch keine Lösung, wenn man wegen jedem Wort eine Schlägerei macht. Das finde ich nicht gut und auch komisch, dass die Leute so aggressiv werden, um sich schützen zu können.
RAFAEL: Auch nicht gut für sie selber?
PETAR: Nee. Die können eigentlich so sich selbst Probleme machen. Ich hab auch mir selbst viele Probleme gemacht, ich hab Schlägereien gemacht. Aber das ist … es ist nicht gut. Ich kann nicht sagen, dass es gut ist. Auf keinen Fall. Aber es gibt auch diesen Moment wo man ausrastet. Aber das soll nicht oft sein, weil selten ist es gut. Aber die Leute haben viele Vorurteile. Zum Beispiel auch wenn die zu mir kommen, das passiert mir auch oft: „Hey, du bist trans*“ Ich so „Hä? Also du denkst dir das, nur weil ich mich schminke?“ Sowas meine ich mit Vorurteilen. Oder wegen dem Aussehen, wegen Haaren, wegen Tattoos, was auch immer. Da war einmal ein Mann, der hat was geschrien über mein Tattoo, in der Stadt. Von dem was er gesagt hab, habe ich kein Wort verstanden, weil das war auf Arabisch oder weiß ich auch nicht. Also Deutsch war es nicht, auf keinen Fall, Bulgarisch auch nicht, Serbisch auch nicht, weil ich kann ja auch ein paar Sprachen reden. Ich hab nur verstanden, dass es um mein Tattoo geht.

Ich kann auch nicht die Leute verstehen, die sagen, wenn sie jemand mit Tattoos sehen: „Oh, der nimmt Drogen!“ Oder: „Der war im Gefängnis!“ Ich so: „Hä warum?“ Für mich hat es eine Bedeutung, die er nicht kennt. Das meine ich damit, wenn ich sage Vorurteile. Wenn sich zum Beispiel jemand eine Blume tätowiert, sagen die nichts. Wenn du aber eine Waffe tätowiert hast, bist du Mafia oder du bist dies oder das. Ich so: „Hä? Du weißt nicht, welche Bedeutung das für mich hat. Das kann für einen Mensch sein, für etwas sein. Warum soll das bedeuten, dass ich böse bin. Oder dass ich irgendwie scheiße bin, oder keine Ahnung was.“ Aber nach so vielen Jahren muss man einfach damit klarkommen. Dass es solche Leute gibt und solche Leute. Gute, nette, böse. Die nichts dagegen haben, die viel dagegen haben.
RAFAEL: Hast du noch irgendwie Wünsche was sich in Suhl verändern sollte?
PETAR: Hm. Ich weiß nicht.
RAFAEL: Wenn du Superkräfte hättest?
PETAR: Oh! Oh. Einfach, dass die Leute ein bisschen offen sind. Also dass sie nicht so in Schubladen denken – „Das ist gut, das ist schlimm, Punkt.“ Dass sie nicht so viele Vorurteile haben. Dass sie ein bisschen netter sind. Dass sie mit Leuten, die anders sind, ein bisschen netter umgehen. Dass sie ein bisschen mehr Verständnis haben, dass es für manche Leute schwer ist. Wenn jemand zwei Monate hier ist und kann kein Deutsch, dann kommt jemand zu ihm und der beleidigt ihn, kann er auch nicht antworten. Einfach dass die Leute ein bisschen mehr Verständnis haben und ein bisschen offener denken. Sonst finde ich die Stadt gut. Die Stadt ist gut, aber die Leute nicht.

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