ABDULA: Irgendwie so Träume oder was Besonderes brauche ich nicht. Ich will einfach nur, dass die Deutschen sehen, dass ich wie jeder Mensch bin, wie die Deutschen selber. Sie sollen mich sehen wie jeden anderen. Ich glaube, wenn die Leute mich kennen lernen, sehen sie das auch. Aber das musst du immer zuerst beweisen, dass du wirklich gut bist, dass du nicht anders bist. Ich hab auch versucht, ob es vielleicht anders geht. Aber nee. Das musst du zuerst beweisen, und dann akzeptieren sie dich, wie du bist.
RAFAEL: Mir ist schon aufgefallen, du kennst viele Leute hier.
ABDULA: Ja, ich bin schon seit fünf Jahren hier, da kenne ich halt schon viele Leute.
RAFAEL: Woher so?
ABDULA: Das gehört halt dazu. Ich war zum Beispiel in der Schule, im Deutschkurs … Und wir haben zum Beispiel ein Vereinshaus, wo wir Konzerte machen. Wir machen so harte Musik, Rock. Und das ist richtig schön. Wir kochen dort veganes Essen und gehen auf Festivals und so was und machen da veganes Essen. Das macht halt Spaß.
RAFAEL: Wohnst du auch mit anderen?
ABDULA: Am Anfang war ich unter 18. Sieht nicht so aus, aber ich war unter 18. Und ich war im Kinderheim, das war im Schwarzwasserweg. Sie waren komplett nett, wir wurden betreut. Das war eine schöne Zeit. Als ich meine eigene Wohnung hatte, fühlte ich mich mehr alleine, als wo ich noch im Kinderheim war. Die Betreuer fragen nach dir, wenn du zu spät kommst – ich glaube, jeder vermisst so was, dass zum Beispiel die Mutti fragt, oder der Bruder fragt, oder der Vater fragt. Zwischendurch hatte ich eine Beziehung und hab in Zella-Mehlis gewohnt, eineinhalb Jahre. Und jetzt hab ich endlich eine neue Wohnung auf dem Lautenberg.
RAFAEL: Ist es schwierig, hier ne Wohnung zu finden?
ABDULA: Nicht so sehr. Wenn man Leute kennt, und nett ist. Ich fühle mich nicht anders. Wirklich. Bin halt wie jeder Mensch. Ich kann mit allen klar kommen. „Ich bin gut integriert“, so kann man es sagen.
RAFAEL: Aber könnte ja trotzdem sein, dass die Wohnungsgesellschaft sagt: „Oh …“
ABDULA: Ja, ist schon mal passiert. Aber das war, bevor ich richtig deutsch sprechen konnte. Bevor ich richtig gezeigt hab, dass ich das wirklich schaffe. Dass ich kein böser Mensch bin, wie sie von allen anderen Ausländern denken.
RAFAEL: Also du musst es erst beweisen?
ABDULA: Ja klar. Bei jedem Schritt. Von außen kann man das nicht sehen, aber innen drin haben sie wirklich immer Angst. Drinnen hat jeder Angst vor Ausländern. Auch mit Kollegen, oder so. Aber wenn die Zeit vergeht, und sie mich besser kennen, dann wissen sie, dass ich bin wie die anderen. Weil ich bin auch ein Mensch. Ich liebe wie die anderen, ich esse wie die anderen. Aber Deutschland hat mir gut getan. Ich kann sagen, das ist mein zweites Land. Ich hab auch nicht mehr gefragt, was in Syrien passiert oder so. Weil wirklich, da bin ich raus mit dreizehn Jahren. Ich bin nicht in meiner Heimat aufgewachsen. Wenn du mir die Straße sagst, muss ich viel nachdenken, bis ich weiß, wo das ist, wo ich war, wo meine Wohnung war. Weil ich war dort wirklich nur als Kind, mit dreizehn, vierzehn Jahren. Ich hab alles vergessen. Mit vierzehn musste ich in die Türkei, dann nach Dubai, dann nach Ägypten, dann wieder in die Türkei. Dann bin ich nach Deutschland. Weißt du, wie man das gemacht hat, über Griechenland, Mazedonien, Serbien bis Deutschland. Das alles laufen. Auf der Straße laufen und schlafen. Das war schon krass. Aber das war eine gute Entscheidung, kann man sagen. Dass ich hier hergekommen bin, das war eine gute Entscheidung. Finde ich.
RAFAEL: Und was arbeitest du?
ABDULA: Ich mach eine Ausbildung im Mercedes-Autohaus, bei Max Schultz. Das ist meine Zukunft. Ich bin nicht hier nur um zu arbeiten, ich bin hier um zu lernen, wirklich. Ich will etwas, worauf ich stolz sein kann. Dass ich etwas im Leben gemacht habe.
RAFAEL: War das ein langer Prozess, die Ausbildung zu finden?
ABDULA: Ja, ich hab über 15 Bewerbungen geschickt, die wollten alle kein Vorstellungsgespräch machen. Sie wollten das nicht. „Ja, leider haben wir uns für jemand anders entschieden.“ oder „leider …“ oder „leider …“. Ja, wenn jemand den Namen sieht, einen Ausländer-Namen, und das Foto, dann denken sie: „Ah, er hat schwarze Haare“ und sowas und „Hm, wir wissen es nicht, ob das gut ist oder nicht.“ Deswegen sagen sie lieber: „Nein, leider, leider, leider.“ Aber dann hatte ich Glück. Ich hab mich bei Max Schultz beworben. Sie haben mir sofort nach ein, zwei Wochen einen Gesprächstermin gegeben. Und dann bin ich rein, sie hatten schon meine Bewerbung gelesen und haben ein paar Fragen gestellt. „Was hast du gemacht zwischendurch? Warum hast du gearbeitet und dann wieder aufgehört?“. Ich hab es einfach erklärt: Ich hatte einen Ausbildungsplatz, und hab das abgebrochen. Warum? Weil ich meine Familie besucht habe. Meine Familie ist jetzt in der Türkei. Ich hab meine Familie besucht, da hat die Türkei mir meinen deutschen Ausweis weg genommen. Da bin ich zur Deutschen Botschaft gegangen und hab einen neuen beantragt, hab einen Ersatz-Reisepass bekommen. Das hat fünf Monate gedauert. Ich hab meine Wohnung verloren. Meine Ausbildung. Dann bin ich letztes Jahr November zurück gekommen und hab wieder von Null angefangen, nochmal von Null. Das war hart. Aber es war auch schön, ich hatte auch meine Familie gesehen. Das ist auch gut.
RAFAEL: Aber es ist sehr viel schwieriger als für andere, die mal ihre Familie besuchen …
ABDULA: Ja es geht halt nicht so einfach. Aber wir hängen viel an der Familie. Wir können wirklich ohne die Familie nichts machen. Vater, Mutter sind halt alles. Auch wenn ich wusste, dass es gefährlich ist, bin ich trotzdem geflogen. Ja, das war ne harte Erfahrung. Aber man lernt immer und immer. Dann bin ich wieder hier her. Dann hatte ich ein paar Schulden bei der Krankenkasse und so. Hab gearbeitet und alles wieder bezahlt. Alles auf Null. Ich hab ne neue Wohnung. Und dann fing es an: ich hab meinen Führerschein fertig gemacht. Sprachniveau noch verbessert. Führerscheinpraxis bestanden. Auto gekauft. Eine Stelle, die beste Stelle. Ja, ist halt schön.
RAFAEL: Aber vorher warst du auch schon in Suhl?
ABDULA: Ich war die ganze Zeit in Suhl. Ist halt meine zweite Stadt. Ich kenne viele Leute hier. Und ich hab Angst, noch mal von Null anzufangen, in eine andere Stadt zu gehen. Ich komme hier her ins Stadtcafé, jemand kennt mich, das ist gut. Suhl ist halt keine große Stadt. Aber die Leute fühlen sich ein bisschen anders gegenüber Ausländern. Sie kennen nicht viele Ausländer, deswegen. Wenn sie Kontakt mit Ausländern haben, denken sie: „Oh, was soll ich jetzt machen, ist er gefährlich, oder was?“ Das kommt immer.
RAFAEL: In welchen Situationen begegnet dir so was? Wo du merkst, dass Leute Vorurteile haben gegenüber Ausländern?
ABDULA: Ja, das ist halt bei allen Menschen, dass sie ein bisschen Angst haben vor was Neuem. Und wenn jemand zu ihm kommt, der nicht von hier ist, nicht aus seiner Stadt, ein bisschen anders spricht – oder er kann nicht sprechen, oder sowas. Andere Kultur. Er glaubt zum Beispiel an Gott. Dann denken sie immer: „Vorsicht, ich sollte keinen Kontakt mit ihm haben.“ Sie sagen sich einfach: „Warum sollte ich auch? Es gibt Deutsche genug.“ So läuft das. Aber jeder Mensch, egal ob Deutsch, oder Afghanisch, oder Syrisch, oder irgendwoher – jeder ist halt Mensch, und er darf leben, wie er will. Seine Meinung, was er glaubt, das ist egal. Ob er an Gott glaubt oder nicht an Gott glaubt, das ist seine Sache.
Niemand anders kann sagen: „Warum isst du kein Schwein? Du bist gut integriert, aber du isst kein Schwein!“. Ich bin gut integriert, ich kann mit dir klar kommen, ich kann mit jedem Deutschen klar kommen. Aber das heißt nicht, dass ich vergesse, wer ich bin, woher ich komme, was meine Familie isst. Das gehört auch dazu. Meiner Meinung nach muss das immer drin sein, wo ich bin, woher ich komme. Auch wenn ich in Deutschland lebe, Deutsch spreche, oder eine Deutsche Freundin habe, oder eine Deutsche Familie. Aber ich bin Araber und ich komme aus Syrien und ich bin Muslim, ich glaube an Gott. Das muss den anderen nicht stören, weil das ist mein Glaube. Das ist meine Meinung. Und ich störe nicht die anderen. Ich mache das nicht neben jemand, ich zeige das nicht. Das ist für mich selber. Deswegen sollen sie einfach denken, der Ausländer ist wie sie selber. Er ist ein Mensch, er darf leben wie er will. Das ist meine Meinung dazu. Bei allen Menschen gibt es Schlechte und Gute, aber diese Verallgemeinerungen – es sind nicht alle Ausländer schlecht! Und es sind auch nicht alle Deutschen gut. Es gibt auch welche, die trinken jeden Tag Alkohol in der Stadt, oder was auch immer. Und das ist auch ihr Leben, und nicht unser Leben. Sie dürfen machen was sie wollen, das stört uns auch nicht. Sind halt nicht alle gleich. Wir haben einen Spruch: Die Finger sind nicht alle gleich. Einer ist groß, einer ist klein. Das Leben ist auch so, die Menschen auch. Sind nicht alle gleich.
RAFAEL: Hattest du auch mal Problem, dass du direkt angegriffen wurdest?
ABDULA: Ja. Das hab ich genug. Aber die Menschen sind halt so, das kann man nicht ändern. Zum Beispiel Leute auf dem Fahrrad: „Ah, Scheiß Ausländer!“ Ich denke mir: „Hä, was haben wir jetzt gemacht? Wir sind einfach gelaufen.“ Und mit Frauen zum Beispiel: „Ich werde nicht mit einem Ausländer zusammen sein.“ – „Okay, akzeptiere ich. Ja, okay.“ – „Ja, ihr seid anders, ihr seid gefährlich.“ – „Hä, warum?“ – „Das ist meine Meinung.“ – „Okay, akzeptiere ich.“ Ja, das ist mir jetzt halt oft schon passiert, sowas. Aber wir haben uns schon daran gewöhnt. Wir sind schon seit vielen Jahren hier, und sowas passiert jeden Tag. Ich werde vielleicht auch nach zwanzig Jahren noch hier sein, und es wird das gleiche passieren. Das Leben läuft so.
RAFAEL: Hast du keine Hoffnung, dass sich da was ändern kann?
ABDULA: Hoffnung gibt es nicht. Die Welt ändern – das ist ein Traum. Kann man leider nicht. Ich gucke immer bei mir selber, ob ich was falsch mache, dass die Leute so denken. Aber wenn ich gucke, denke ich: Ich mache nichts falsch, warum denken sie trotzdem so? Dann denke ich: Okay, ein anderer Ausländer hat was falsch gemacht, und sie denken, die wären alle gleich. Und das ist wirklich was Schlechtes.
RAFAEL: Aber man kann es nicht verallgemeinern.
ABDULA: Die Ausländer wollen einfach nur normal leben. Das ist das zweite Land für sie. Aber wenn jeder sagt: „Du bist ein Ausländer, du bist anders, du bist gefährlich, du gehörst nicht hier her“, tut das auch den Ausländern nicht gut, weil sie bleiben immer fremd. Auch im Kopf. „Ich bin kein Deutscher, ich bin anders, ich bin anders, ich bin anders.“ Und er tut dann vielleicht auch was, was den Deutschen nicht gefällt. Aber jeder darf halt machen was er will – wenn es nicht gegen das Gesetz verstößt, nicht verboten ist. Der Glaube ist was Normales, es gibt ja auch solche und solche Deutsche.
RAFAEL: Oder wenn ein Deutscher irgend einen Fehler macht, sagen sie auch nicht, alle Deutschen sind so.
ABDULA: Ne, das geht nicht. Die haben mit Deutschen wirklich erlebt, dass sie gut sind und innen drin auch nicht so denken. Es gibt wirklich Deutsche, die mit dir Spaß machen, wie mit jedem. So als wärst du ihr Kumpel, einfach ein Kumpel. Nicht weil du Ausländer bist, oder aus einer anderen Kultur kommst oder so was.
Ja, okay, es kommen auch immer Späße: „okay, du bist Ausländer …“ – aber das ist Spaß, nicht Ernst. Das ist normal. Zum Beispiel mit meinen Freunde in der Berufsschule oder meinen Kollegen im Betrieb, ich fühle mich nicht anders mit denen. Ich fühle mich einfach … gut. Die sind einfach nett mit mir. Und das sind ältere Männer, deshalb fühle ich mich wirklich, als wäre ich ihr Sohn. Sie kommen und fragen mich, ob ich was brauche oder so. Aber sie sehen, dass ich alles schaffe, deswegen fragen sie manchmal nicht mehr. Das geht immer mit der Zeit. Vielleicht hatte ich am Anfang Angst, wenn ich rein kam: „Oh, was mache ich jetzt, ich bin jetzt immer mit Deutschen zusammen.“ Aber mit der Zeit, als ich sie kennengelernt habe und sie mich kennengelernt haben, haben sie verstanden, dass ich bin wie jeder andere. So läuft das.
RAFAEL: Und hast du irgendwelche Wünsche für die Zukunft?
ABDULA: Ja, jeder Mensch hat einen Traum, oder Wunsch oder so was. Ich will einfach irgendwann, dass ich nichts mehr brauche, in Ruhe mein Leben lebe. Zum Beispiel ich arbeite, ich gehe abends nach Hause, die Familie ist da … Oder auch zum Beispiel: eine schöne Beziehung, oder schöne Kinder. So was sind die Träume. Lernen, lernen, lernen, das will ich auch. Dass ich einfach sagen kann: okay, das hab ich geschafft. Das brauche ich nicht mehr, habe ich geschafft. Ich habe mein Ziel erreicht. Und ich bin auf diesem Weg. Ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre. Irgendwann werde ich fertig sein, werde ich es schaffen. Dann brauche ich nichts mehr. Irgendwie so Träume oder was Besonderes brauche ich nicht. Ich will einfach nur, dass die Deutschen sehen, dass ich wie jeder Mensch bin, wie die Deutschen selber. Sie sollen mich sehen wie jeden anderen. Ich glaube, wenn die Leute mich kennen lernen, sehen sie das auch. Aber das musst du immer zuerst beweisen, dass du wirklich gut bist, dass du nicht anders bist. Ich hab auch versucht, ob es vielleicht anders geht. Aber nee. Das musst du zuerst beweisen, und dann akzeptieren sie dich, wie du bist. So ist das Leben, das kann man nicht ändern.