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Vorwort zur Neuauflage 2023

In den Gesprächen, die ich für dieses Projekt 2020 und 2021 führte, taucht immer wieder die Frage auf: weg gehen aus Suhl oder trotz des Rassismus bleiben? Es geht um Mikroaggressionen – eigentlich kleine Dinge, die sich über den Tag, die Woche, das Jahr verteilt aber zu einer großen Belastung summieren. Es geht um Vorurteile, die zu Verdäch­tigungen, Unter­schätzungen, lästigen Fragen führen, die immer wieder vermitteln, „anders“ zu sein als „wir“ – auch wenn völlig unklar ist, wer und was mit diesem „wir“ gemeint ist.

Antirassismus ist zum Einen ein Lern­prozess. Ein Verstehen, warum etwas, das gut gemeint ist, beim Gegen­über trotzdem nicht gut ankommen kann. Eine Übung, sich aktiv ein­zu­­mischen und rassis­­tische Äußer­ungen und Hand­­lungen nicht einfach stehen zu lassen. Doch wie Bafta Sarbo in dem von ihr mit heraus­gegebenen Buch „Die Diversität der Ausbeutung“ ausführt, lässt sich Rassismus nicht auf einer rein moralischen Ebene abschaffen.

Denn Rassismus als Ideologie war notwendig, um die „Überausbeutung“ von Menschen aus den ehemaligen Kolonien zu rechtfertigen – inklusive Sklaverei, Hunger­löhnen, Umwelt­zerstörung, Verhinderung wirtschaft­licher Entwicklung. Später hat Rassismus geholfen, den Arbeits­migrant*innen in der Bundes­­republik den sozialen Aufstieg zu erschweren und sie immer wieder auf die ihnen zugedachten Positionen der einfachen Arbeiter*­innen zu verweisen. Doch, wie Max Frisch 1965 schrieb, „wir riefen Arbeits­kräfte, und es kamen Menschen.“ Inzwischen vertreten viele politische Parteien die Position, dass Rassismus sogar schädlich für den Wirtschafts­standort Deutschland sei. Insbesondere qualifizierte Arbeits­kräfte, die die Unter­nehmen so dringend benötigten, sollten nicht durch eine feindliche Stimmung ihnen gegenüber abgeschreckt werden. Gleichzeitig werden andere Formen von Migration, sei es die Flucht vor Krieg oder Armut oder einfach die Suche nach einem besseren Leben, zunehmend kriminalisiert und behindert – oft mit tödlichen Folgen, wie auf dem Mittelmeer oder der Wüste Tunesiens. Die Ab­schottung an den EU-Außen­grenzen soll durch die sogenannte GEAS-Reform verstärkt werden und das Grundrecht auf Asyl – eine Lehre aus den Problemen jüdischer Menschen, vor dem Holocaust aus Deutsch­land zu fliehen – wurde zur Diskussion gestellt.

Ein Anti­rassismus der es ernst meint, muss daher darüber hinaus gehen, Menschen zu akzeptieren, wenn sie als Fachkräfte gebraucht werden. Er muss auch die immer wieder beschworene „Bekämpfung der Flucht­ursachen“ ernst nehmen, statt daraus eine Bekämpfung der Flucht schon vor den Grenzen Europas zu machen. Er muss für gleiche Rechte, Chancen und Lebens­bedingungen aller Menschen kämpfen. Egal woher sie kommen, wie sie aussehen und wo sie leben.

Rafael Brix (unofficial.pictures), im August 2023

Text zur Ausstellung 2021 im Lauterbogen-Center

Im Mai und Juni 2020 rückte durch die weltweite Black-Lives-Matter-Bewegung das Thema Rassismus verstärkt in den öffentlichen Fokus. Ein wichtiger Unterschied zu manchen früheren antirassistischen Demonstrationen war, dass nun viele direkt betroffene Menschen gesprochen haben und in aller Deutlichkeit in die Öffentlichkeit getragen haben, wie es ihnen damit geht, ausgeschlossen zu werden, beleidigt zu werden, angegriffen zu werden, oder eben wenn sogar ihre Schwestern und Brüder aus Rassismus ihr Leben verlieren. Zudem haben sie sich damit Raum geschaffen, um ihre Forderungen klar zu machen. Für die Betroffenen war Antirassismus aber kein Hype im Sommer 2020. Stattdessen ist Rassismus etwas Lästiges, dass sie oft schon ihr Leben lang begleitet. Etwas das natürlich auch in Suhl Denken und Taten beeinflusst. Und etwas, das auch weiterhin Aufmerksamkeit braucht, damit es besser verstanden wird und irgendwann aufhört. Menschen, die nicht davon direkt betroffen sind, tun gut daran, diesen Kampf gegen Rassismus ebenfalls zu führen. Ayșe Güleç, Künstlerin-Aktivistin hat dazu mal gesagt, wir sollen uns nicht vor die betroffenen Menschen stellen, auch nicht hinter sie, sondern zu ihnen. Denn erst dann kann man eigentlich mitkriegen, was sie bewegt, welche Probleme es gibt, was sie sich wirklich wünschen. Und erst dann kann man überwinden, dass sie immer alleine stehen gelassen werden, wie auch in vielen Interviews dieser Ausstellung erzählt wird.

Daher sind die Gespräche mit betroffenen Menschen der Hauptbestandteil der Ausstellung. Wir sprachen darüber, ob sie in Suhl zum Beispiel auf der Straße und im Bus, in der Schule oder auf der Arbeit Erfahrung mit Rassismus und ähnlichen Diskriminierungsformen machen. Dabei interessierte uns besonders, wie die Situationen für sie selbst waren und in welcher Form sie sich Solidarität wünschen. Zudem ging es um ihre Wünsche für ihr Leben und die Stadt Suhl. Die Ausstellung möchte aber aber nicht nur direkt Aufklärungsarbeit leisten, sondern versteht sich auch als Einladung an Sie als Besucher*innen, mit betroffenen Suhler*innen zu sprechen – natürlich in Ruhe und mit deren Einverständnis. Und auch in manchen hier abgedruckten Gesprächen werden Sie vielleicht herauslesen, dass sich erst mal eine Vertrauensebene entwickeln muss, um über solche Ausschlussmechanismen mit jemandem zu reden, der selber zu der Gruppe gehört, die immerzu ausschließt. Dafür ist es natürlich essentiell, den Menschen mit ihren Erfahrungen zu glauben.

Der offensichtlichere Teil der Ausstellung sind große Porträts der Interviewten. Sie sind meist kurz nach den intensiven, langen Gesprächen entstanden und sollen den Moment der Begegnung ein Stück nachempfindbar machen. Einige von ihnen sind auf den Bildern auch von hinten zu sehen, denn wir hatten ihnen bewusst angeboten, anonym zu bleiben. Natürlich ist es noch bestärkender, mit seiner Meinung offen auftreten zu können. Aber manche Betroffene haben einfach zu oft die Erfahrung gemacht, dass ihnen nicht geglaubt wird, und es besteht auch die reale Gefahr, Opfer von weiteren öffentlichen Anfeindungen oder gar körperlichen Angriffen zu werden. Daher war es uns wichtiger, einen sichereren Raum zu schaffen, in dem sie sich möglichst offen äußern können.

Die Idee zu dem Projekt entstand beim Internationalen Bund Suhl im Rahmen der Vorbereitung zur Interkulturellen Woche 2020. Der Jugendmigrationsdienst, der am IB angegliedert ist, unterstützt junge Migrant*innen, von denen viele selbst von Rassismus betroffen sind, und bietet ihnen auch in diesen Fragen eine Anlaufstelle. So sind auch viele der Porträtierten der Ausstellung Jugendliche, die vom Jugendmigrationsdienst betreut werden, oder Teilnehmer*innen von Sprachkursen die beim Internationalen Bund stattfinden. Für die Umsetzung fand Katja Weber vom IB mit Rafael Brix einen im Thema bereits engagierten Dokumentarfotografen. Mit seinem Kollektiv unofficial.pictures ist er auf das Erzählen von Persönlichem und Politischem durch Fotografie und Film spezialisiert. Das Projekt wurde schließlich ermöglicht durch eine Förderung im Lokalen Aktionsplan Suhl, das Thüringer Landesprogramm „Denk bunt“ und das Bundesprogramm „Demokratie Leben“. Wir danken aber besonders den Porträtierten, die sich in der Begegnung verletzlich gemacht haben. Sie haben viele Erlebnisse, die sie wütend oder traurig oder genervt gemacht haben, noch mal erzählt, damit weiße Menschen sie nachvollziehen können. Sie machen damit eine Form von Bildungsarbeit über Rassismus, was wir glaube ich nicht hoch genug wertschätzen können.

Vielleicht haben Sie sich gewundert, warum nicht nur von Migrant*innen sondern auch von People of Color die Rede ist. Wir haben diesen Begriff ergänzt, weil es uns eben nicht nur explizit um Menschen ging, die nach Deutschland migriert sind. Stattdessen möchten wir den Blick darauf lenken, wer hier Diskriminierungserfahrungen macht, weil sie*er nicht weiß ist. People of Color ist ein inzwischen auch in Deutschland recht verbreiteter Vorschlag für eine Selbstbezeichnung dieser Gruppe an Menschen, die damit einen gemeinsamen Namen bekommt um sich gemeinsam gegen diese Missstände wehren zu können. Schwarz wird teilweise auch in dieser Bedeutung als umfassende kämpferische Bezeichnung benutzt. Am besten ist es natürlich immer, nachzufragen, mit welchem Begriff sich eine Person identifiziert. Bei diesen Begriffen geht es nicht um die konkrete Helligkeit der Hautfarbe, sondern eben um die Betroffenheit von Rassismus in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation. Deswegen können natürlich zum Beispiel auch Menschen aus Osteuropa, die vielleicht eine helle Hautfarbe haben aber hier von Rassismus betroffen sind, sich so bezeichnen. Und deswegen lässt sich das auch nicht übersetzen zu dem Begriff „Farbige“, der aus einer weißen Perspektive kommt und so tut, als hätten weiße Menschen keine Farbe. Und deswegen geht es, wenn wir von weißen Menschen sprechen auch nicht darum, wer nicht so oft an die Sonne geht, sondern wer in dieser Gesellschaft nicht von Rassismus betroffen ist. All diese Schubladen brauchen wir aber nur um über das Thema Rassismus zu reden, in allen anderen Fällen sollte die Hautfarbe wirklich egal sein. Und wir haben bewusst von Menschen aus Suhl gesprochen. Denn, wie es so schön heißt: „Wer hier lebt, ist von hier.“

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