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Klaus Sachse

Klaus Sachse, geboren 1932, ist Rentner
und war von 1990 bis 2019 im Stadtrat

Portrait von Klaus Sachse

FRIEDER: Sind Sie hier geboren?

KLAUS: Nein, ich bin in Altenburg in der Schmöllnsche Straße 29 geboren. Das Haus steht sogar noch.

SANDRA: Eine Hausgeburt also? Wann war das?

KLAUS: Das war 1932. Ich bin dieses Jahr 90 Jahre alt geworden.

Mein Vater hat in der Braunkohle gearbeitet. Meine Eltern und Urgroßeltern haben in Altenburg eine Böttcherei betrieben. Die waren Handwerksmeister. Dann kam später die Metallindustrie und damit verzinkte Wannen auf und man kaufte lieber so etwas. Holzwannen konnten dann, bei der Haltbarkeit, nicht mehr mithalten. Mein Vater hat gesagt, dass er das nicht mitmacht. Er war im Ersten Weltkrieg und hat in Frankreich gesehen, dass die Zinkindustrie weiter war als in Deutschland. In Unehren meines Großvaters ist er dann in die Braunkohle gegangen. Da wurde er dann, von der Hauptverwaltung, nach Borna versetzt. 1937 sind wir dann dort in die Rosengasse gezogen, in eine richtig gute Wohnung mit Parkett.

SANDRA: Wo war die Rosengasse?

KLAUS: In der Grimmaer Straße, wenn Sie die Leipziger Straße herunterfahren zum Amtsgericht, da geht es rechts rein, bei der Wäscherei Volkert.

SANDRA: Da sind schöne Häuser.

KLAUS: Das war ein wunderbares Gebäude. Wir hatten sogar ein Bad mit Badeofen. Da bin ich dann ab 1938 in die Schule gegangen. Später war ich im Gymnasium. Danach habe ich studiert. Erst einen Beruf gelernt und dann studiert als Bauingenieur. Ich war vier Jahre in der Projektierung im Entwurfsbüro für Hochbau Leipzig neben der Leipziger Thomaskirche tätig. Im Studium wurde festgelegt, wo ich danach zum Arbeiten hingehen sollte. Da bin ich jeden Tag nach Leipzig gefahren. Damals hatte man kein Auto. Da bin ich früh um sechs mit dem Zug gefahren. Der Schichtzug war meistens voll, wegen der ganzen Schichtarbeiter, die in Böhlen arbeiteten. In Böhlen wurde der Zug leer, bis zum Hauptbahnhof. Von da aus bin ich zur Thomaskirche gegangen. Abends bin ich dann vom Bayrischen Bahnhof aus zurück. Das habe ich jahrelang so gemacht. Danach wurde ich angerufen, nach viereinhalb Jahren, weil Arbeitskräfte gesucht wurden, da in Borna die Kreisbauämter aufgebaut wurden. Das waren von der Rosengasse drei Minuten zu Fuß zu laufen und da bekam ich auch mehr Geld. Da war ich dann bis zur Wende beschäftigt. Ich war in der staatlichen Bauaufsicht und habe die ganzen Bauten kontrolliert.

Nach der Wende war ich dann im Bauordnungsamt beim Landkreis eingestellt. Seit 1980 war ich dann beim Ministerium für Bauwesen. Einmal sollte etwas weggerissen werden und ein Kaufhaus gebaut werden. Da habe ich mich mit Leuten von der IZ Böhlen zusammengetan und ein Gegengutachten ausgearbeitet. Weil ich nicht mehr zum Rat des Kreises gehörte, konnte ich mich durchsetzen und die Abbruchgenehmigung wurden abgelehnt. Da war ich von der Wende bis zur Rente beim Bauordnungsamt. Das wurde immer größer und es wurden immer mehr Leute angestellt. Das Amt ist heute in Grimma.

Die Bürokratie hat kein Ende heutzutage. Früher war es einfacher, wir haben da nicht so viel Ruß drum gemacht. Wenn etwas in Ordnung war, wurde es genehmigt, ohne die großen Forderungen, die heute gestellt werden. Was der Denkmalschutz alles für Forderungen stellt. Da wird viel auf Kleinigkeiten geachtet.

FRIEDER: Wie war es in der DDR im Bau zu arbeiten, mit dem Mangel an Baustoffen?

KLAUS: Der Mangel musste verwaltet werden. Da gab es einen, der machte die Jahresversorgung. Der entschied anhand der Unterlagen, was ich brauchte und ob ich es kriegte. Wie ich was kriegen sollte und wie viel. Nach der Wende kam heraus, dass er auch nur für Geld gearbeitet hat. Die LPGs hatten damals Geld und konnten es bezahlen, wenn er etwas gefordert hat. Dann hat er sich bezahlen lassen. Das hätte ich nie gedacht. Nebenbei war er Parteisekretär beim Kreisbauamt. Solche Leute arbeiten nur zu ihrem Vorteil.

SANDRA: Wie alt ist Ihr Haus?

KLAUS: Ich habe es 1960, zu DDR-Zeiten, gebaut. In schlechten Zeiten, als es nichts gab. Wo es keine Maschinen gab, als wir alles per Hand gemacht haben. Es gab keinen Mischer, kein Nichts.

FRIEDER: Wie lange haben Sie gebaut?

KLAUS: Eineinhalb Jahre.

FRIEDER: Nur so kurz?

KLAUS: Vor dem Studium habe ich gelernt, wie das geht. Da konnte ich mir leisten, das so zu machen zu, wie ich das wollte.

SANDRA: Es ist schon etwas, wenn man selber so viel irgendwo reinsteckt.

KLAUS: Da weiß man genau, wo man Fehler gemacht hat und dass man es anders hätte machen können. Das ist lange her.

SANDRA: Was war denn vorher hier in der Gegend?

KLAUS: Da war gar nichts. Der Herr Stiehl, von der Gaststätte Stiehls, hat damals 1958 als erster hierhin gebaut. Der hatte hinten einen Garten. Sonst waren überall Felder.

SANDRA: In der Parallelstraße, der Haubitzer, da standen schon Häuser?

KLAUS: Ja genau, die ist 1938 vor dem Zweiten Weltkrieg gebaut worden. Hier hinten war gar nichts. Er fing an und dann wollten scheinbar mehrere Leute ein Grundstück kaufen. Vom Bauamt wurde ein Bebauungsplan für die Grundstücke festgelegt. Da konnte man sich das noch aussuchen. Damals war Bauen noch preiswert. Wir haben 23 Pfennig für einen Quadratmeter bezahlt. Es war ein verschuldetes Land. Das war billig. Der Höchstpreis war drei Mark um die Zeit. Wenn ich sehe, was die heute verlangen, das kann sich keiner mehr leisten.

SANDRA: Wann waren für Sie die guten Zeiten?

KLAUS: Die waren so zehn Jahre nach der Wende. Arbeit gab es genug und gibt es heute auch noch. Nach der Wende war es so, dass viele hier in der Region arbeitslos waren. Die Braunkohle ist vollkommen den Bach runtergegangen und dadurch gab es massenhaft Arbeitslose. Die haben dann versucht sich im westlichen Teil des Landes Arbeit zu suchen. Was, wussten sie auch nicht. Die von der ABM haben hier den Park neu gemacht und Bäume gepflanzt, nur damit Leute beschäftigt waren. Das ist vorbei. Heute werden Arbeitskräfte gesucht und es gibt keine.

SANDRA: Sie haben ja auch in Borna den Krieg miterlebt, oder?

KLAUS: Da ich im Gymnasium war, musste ich in die Hitler-Jugend. Da wurde geübt und marschiert. Es gab Bombenangriffe und wir mussten, in der Rosengasse, in den Keller. Wir standen oft vor der Haustür und haben die Kondensstreifen der Bomber angeguckt. Hier in Borna wurden bis 1945 keine Bomben abgeworfen. Wenn, dann waren das Flugzeuge, die auf dem Rückflug waren und ihre restlichen Bomben abgeworfen haben. In Borna West habe ich 1945 meinen ersten Toten gesehen. Vormittags hauten die Bomben mitten ins Wohngebiet rein. Da hat es so viele Häuser weggerissen. Das war am frühen Morgen. Da wollte ich gucken, was los war. Da waren auch Kinder mit dabei, die am nächsten Tag konfirmiert werden sollten.

Achtzehn oder neunzehn hat es erwischt. Durch den Luftdruck der Bombe hat es die Lungen zerrissen. Der Mensch hält das nicht aus, wenn so etwas passiert. Am 15. April 1945 kamen die Amerikaner. Erst die Schwarzen, dann die Weißen hinterher, die sich hinter ersteren geschützt haben. Jeder musste Fotoapparate und Waffen abgeben.

SANDRA: Warum die Fotoapparate?

KLAUS: Die wollten nicht, dass ich sie fotografiere. Mein Vater hatte eine alte Blockkamera, die hatte noch keine Rollfilme. Die habe ich dahin geschafft und sie haben die nur auf einen Haufen geworfen. Die wollten Rollfilmkameras, Leicas und so. So etwas konnte sich damals nicht jeder leisten. Dann hauten die Amerikaner ab und die Russen kamen am dritten oder vierten Juli. Es klapperte und klapperte. Die kamen mit Pferden und Wägen. Später erst kamen die LKWs. Ich habe gesehen, wie sie jemandem das Fahrrad weggenommen haben. Da konnte man nichts machen, die hatten die Macht. Das war eine schlimme Zeit.
Ich habe auch die Reichspogromnacht in Borna erlebt. Ich habe gesehen, wie sie einen Laden von einem Juden in der Kirchstraße ausgeraubt haben. Sie haben die Möbel aufgeladen. Ich war mit meinem Bruder und meiner Mutter unterwegs. Da kamen wir, von der Teich- in die Kirchstraße. Dort war die Polizei. Wir durften nicht stehenbleiben. Das Zeug wurde aus dem Laden herausgeholt. Abends wurde auch das Kaufhaus Britannia der Familie Rose angegriffen; erst geplündert, die Scheiben eingeschlagen und dann in Brand gesteckt. Mein Bruder und ich haben vom Fenster aus die Flammen gesehen. Die wollten das total abbrennen lassen. Der Fleischer hat sich dagegen gewehrt, weil er sein Geschäft daneben hatte. Der hat dann die Feuerwehr gerufen, damit seine Bude nicht mit weg brennt. Es wurde dann gelöscht, aber es war total ausgebrannt. Das Haus wurde danach wiederaufgebaut. Bis zum Kriegsanfang 1939 war es wieder fertig. Die Firma Marks hatte bis nach dem Krieg ein Herrenbekleidungsgeschäft betrieben. Jetzt ist die CDU da drinnen. So war das. Ich habe viel miterlebt.

1945, als der Krieg sich zugespitzt hat, wurden alle die mal im Ersten Weltkrieg waren, zum Volkssturm gebracht. Die sollten die Heimat verteidigen. Die wurden eingezogen und mein Vater wurde der Zugführer, weil er Unteroffizier im ersten Weltkrieg war. Die trafen sich einmal im Monat. 1945 im Frühjahr sollte er bei der Flakstellung aushelfen. Es sprach sich herum, dass die schon in Altenburg waren. Da haben alle die Waffen hingeschmissen und sind heim gegangen. Sie haben aufgegeben, weil es sinnlos war. Was sollten den ein paar Einzelne gegen eine Armee ausrichten? Sonntagnachmittag am 15. April kam der Einzug der Amerikaner. Da haben wir raus geguckt, mussten aber weg vom Fenster.

Als die Russen dann da waren, im September, die Schule hatte noch nicht wieder angefangen, es war an einem Vormittag, mein Vater putzte im Treppenhaus Schuhe. Da kamen zwei im blauen Anzug mit roter Armbinde, von der kommunistischen Partei. Die wollten ihn mitnehmen zur Vernehmung. Er sollte gleich mitkommen, es war ganz wichtig. Danach habe ich ihn nicht wieder gesehen. Er wurde eingesperrt. Später kam eine Meldung, dass wir Schmuck und gute Sachen hinbringen sollten. Nach einem halben Jahr haben wir erfahren, als ein Brief rausgeschmuggelt wurde, dass sie in Mühlberg an der Elbe waren, in einem ehemaligem KZ Lager. Dort wurden sie eingesperrt. Es waren fünfzehn oder sechzehn Leute, alle die damals beim Volkssturm dabei waren. Dort ist er im Winter 1946 oder 1947 verreckt, an Hunger oder Erfrierung. Wir haben nie etwas gehört, bis in die 50er Jahre, als jemand der auch dort war, nach Westdeutschland entlassen wurde. Der dann eidesstattlich erklärt hat, dass mein Vater dort gestorben ist. Meine Mutter hat sich damals an die Regierung gewandt und musste ganz viel Arbeit reinstecken, damit wir eine Halbwaisenrente bekamen. Sie musste sofort wieder zu arbeiten anfangen, als mein Vater, als einziger Verdiener, weg war. Sie fing bei Konsum für 158 Mark im Monat an. Wir mussten sehen wo wir bleiben, wir haben uns dann mit Kartoffeln und Sirup kochen durch die ersten Jahre geschlagen.
1945, als die ersten aus dem KZ durch die Straßen kamen, hat man die Holzlatschen klappern gehört. Die waren in Lumpen gehüllt. Sie wurden bewacht und Richtung Buchenwald geführt. Das war im Winter 1944/1945.

FRIEDER: Da waren sie so zwölf, dreizehn Jahre alt?

KLAUS: Ich war zwölf Jahre alt. Da habe ich gesehen, was niemand sehen sollte. Hier in Borna wurde eine Polin aufgehangen, die ein Verhältnis mit einem Deutschen hatte. Der Tischlermeister musste einen Galgen bauen und hieß danach nur noch Galgenbauer. Da wurden die ganzen ausländischen Zwangsarbeiter hingeschafft und mussten zusehen. Für die weitere Bevölkerung war alles abgesperrt. Wir haben aber von Weitem zugesehen.

FRIEDER: Wann war das?

KLAUS: Ich glaube das muss 1943 gewesen sein.

FRIEDER: Wurde der Mann nicht bestraft?

KLAUS: Das weiß ich nicht. Als ich auf dem Gymnasium war, mussten wir das Schwimmabzeichen machen. Da es in Borna keine Bademeister mehr gab, weil im Krieg alle eingezogen wurden, musste ich nach Altenburg fahren, weil da noch ein zugelassener Bademeister war.

Ich bin mit dem Zug hingefahren. Ich habe dort mein Schwimmabzeichen gemacht und bin mit dem Zug wieder heim gefahren. Als wir in den Bahnhof einfuhren, habe ich Flaks auf Wagons gesehen. Wir standen am Fenster und konnten zu gucken wie sie schossen. Die Amerikaner flogen so hoch, dass sie nie getroffen haben, aber sie haben trotzdem weiter geschossen, weil es ihnen befohlen wurde. Es war am 20. Juli 1944, an dem Tag, als auch das Attentat auf Hitler war.
Ich hatte damals schon ein Fahrrad und bin damit zu meinem Onkel gefahren. Der war Bürgermeister in Meuselwitz und ein großer Nazi. Später war er Gauredner in Thüringen. Das war nach dem Attentat. Mein Vater meinte zu ihm, dass der Krieg schon so gut wie verloren sei. Mein Onkel wollte ihn anzeigen, weil er ein Verräter sei. Seine Frau hat eingegriffen und den Streit geschlichtet. Wir haben uns schnell die Räder geschnappt und sind nach Hause gefahren. Viele waren immer noch so vernarrt, selbst 1944, als der Krieg schon sichtbar zu Ende ging.
Es gab so viele Vernarrte. Im Außenlager von Buchenwald in Flößberg mussten 1945 die beerdigten ungarischen Juden wieder ausgegraben werden. Das mussten die großen, strammen Nazis aus Borna machen. Hier in Borna wurden die Leichen, unter Aufsicht der Amerikaner, dann gewaschen, angezogen, in Särge gelegt und hier begraben. Es war Pflicht, dass alle Bornaer Bürger da vorbeimarschieren mussten.

SANDRA: Ich frage mich immer, wie sich das anfühlt, wenn so ein Umbruch kommt. Mit „die Stunde null“ beschreibt man es nach dem Krieg. Man wacht früh auf und alles ist anders. Zur Wende gab es das ja nochmal so.

KLAUS: Mit der Wende war das anders. Ich war in Leipzig zu den Montagsdemos und habe es miterlebt. Das war anders. Den ersten Montag am 9. Oktober 1989 dachten alle, dass auf sie geschossen wird. Alle dachten, wenn sie wieder marschieren, dann passiert etwas. Es passierte aber gar nichts. Sie standen, mit Waffen nach unten gerichtet da und wir sind vorbeimarschiert. Nichts ist passiert. Es war eine friedliche Revolution, niemand hätte das gedacht. Im Herbst war ich schon mal da. Mein Auto habe ich auf dem Augustusplatz, damals hieß der Karl-Marx-Platz, geparkt und bin hingegangen. Niemand redete, es war Totenstille. Dann hörte man Musik, von der Orgel in der Nikolai-Kirche. Das Tor ging auf und es kamen Leute raus, mit Transparenten in der Hand. Da war ich mit dabei. Wir gingen Richtung Hauptbahnhof. Ich bin später in die Büsche verschwunden und abgehauen. Das war mein erstes Erlebnis damit. Ich wollte sehen, was da los war. Es waren viele Leute. Da konnte noch keiner ahnen, dass die Wende so kam, wie sie gekommen ist. Die Demonstrationen wurden ja immer größer, bis die von der Kampfgruppe gesagt haben, dass man da eingreifen muss. Es hat dann aber niemand eingegriffen. Wenn es zu einem Blutbad gekommen wäre, wäre es schrecklich geworden. Das hätte ich nicht erleben mögen. Da hätte es bestimmt Tote gegeben.

FRIEDER: Kann man die Situationen nach dem Krieg und nach der Wende vergleichen?

KLAUS: Nein, das war anders. Nach dem Krieg gab es Lebensmittelkarten. Für alles gab es Karten. Du konntest nichts einkaufen. Kein paar Schuhe, nichts. Du warst nur berechtigt das zu kaufen, was auf der Karte stand und auch das ging manchmal nicht, wenn es nichts gab. Ich kann mich noch erinnern, dass meinem Bruder, meiner Mutter und mir 200 Gramm Brot pro Person zur Verfügung standen. Das war kurz bevor die Amerikaner kamen. Später wurde es weniger. Da wurde das Brot aufgeteilt. Wir haben das mit der Briefwaage gemessen, damit niemand zu viel bekam. Es gab ja nichts. Marmelade wurde zugeteilt. 10 Gramm Fett bekam man am Tag.

FRIEDER: Wie lange war das mit Bezugsscheinen so?

KLAUS: Bis 1958. Als ich beim Rat des Kreises im Bauamt in Borna angefangen habe, wurden mit den Lebensmittelkarten aufgehört. Brot gab es da schon, aber für Engpassartikel wie Fleisch gab es noch Lebensmittelkarten. Inzwischen gab es die HO Läden, wo es Lebensmittel zu höheren Preisen gab. Wer sich etwas Gutes leisten wollte, konnte es sich dort kaufen, aber es war sehr teuer.

FRIEDER: Sie waren doch auch ganz lange im Stadtrat. Wann sind Sie da rein?

KLAUS: Ich bin im März 1990, zur ersten Wahl, in den Stadtrat gegangen. Ich habe die Ortsgruppe der SPD mit ein paar Menschen gegründet. Wir haben ins Gewerkschaftshaus eingeladen. Da kamen mindestens siebzig bis achtzig Leute. Es wollten nicht alle Mitglieder werden. Wir waren eine starke Ortsgruppe.

SANDRA: Sind sie heute noch aktiv bei der SPD?

KLAUS: Nein, ich bin vor zwei Jahren ausgetreten.

FRIEDER: Was war der Anlass?

KLAUS: Der Vorsitzende unserer Partei hat nichts gemacht. Der ist heute Oberbürgermeister in Borna, Oliver Urban. Alle die, die damals die Ortsgruppe gegründet haben, sind ausgetreten. Ich wollte, dass er mal wieder eine Versammlung der Ortsgruppe organisiert, aber das hat er nicht gemacht. Es wäre seine Aufgabe gewesen, seine Leute bei der Stange zu halten.

SANDRA: Blicken sie eher pessimistisch oder optimistisch auf die Zukunft von Borna, wenn Urban im Rathaus sitzt?

KLAUS: Ich habe ihn nicht unterstützt. Ich habe Frau Luedtke unterstützt und bin für sie auf dem Markt gestanden, denn die hat normalerweise ihre Arbeit gut gemacht. Es gab keine Probleme mit ihr. Der Stadtrat lief. Sie hat immer versucht, Fördermittel heranzuholen. Urban kam zu mir an meinem Geburtstag und hat mir gratuliert. Ich habe mich bedankt, aber habe ihm auch gesagt, dass ich ihn nicht gewählt habe.

SANDRA: Ist das jetzt ein pessimistischer oder ein optimistischer Blick in die Zukunft von Borna?

KLAUS: Das kann man nicht sagen. Es kann auch gut gehen. Er übernimmt eine Stadt, die einen Haushalt hat, der läuft, die keine Schulden hat und die alle anstehenden Planungsvorhaben angefangen hat. So wie der Kindergarten, die Schule und so weiter. Es läuft alles. Ich war etwas gegen ihn, weil er zu der Truppe von Schröder und “Bürger für Borna“ gehörte. Er war damals einer derjenigen, die für den Abbruch des Freibads gestimmt haben. Das war so ein Blödsinn.
Wir bekommen nie wieder ein Freibad, weil das Landschaftsschutzgebiet ist. Es war so ein ideales Gelände. Ich habe mich deswegen dafür engagiert, weil ich damals zu DDR-Zeiten bei der Projektierung mitgemacht habe, als freiwillige Tätigkeit bei der Stadt. Es gab damals einen Wettbewerb zwischen Borna und Pegau. Pegau wollte zur gleichen Zeit ein Freibad. Auch das Freibad ist in einem Landschaftsschutzgebiet. Die haben aus dem Freibad etwas gemacht. Es ist ein Musterstück. Borna hat nichts gemacht, weil er keine Lust hatte. Schröder wollte es weg haben. Dann wurde es weggerissen. Heute wird es renaturiert. Er war der Bürgermeister vor Luedtke. Sie hat zwei Perioden und er eine gemacht. Sie hat ihn abgelöst. Es war immer ein Kampf. Er war einfach nur gegen sie.

SANDRA: Das habe ich mich oft gefragt. Wenn ich so auf den Stadtrat gucke, ist es oft so ein persönliches Ding. Persönliche Streitereien, aus denen man nicht nachgibt. Das Interesse der Stadt Borna steht nicht im Vordergrund.

KLAUS: Normalerweise sollte die Stadt Borna im Vordergrund stehen und persönliche Interessen sollten aus dem Spiel herausgelassen werden. Frau Luedtke war eine von den Linken als Oberbürgermeisterin und die Bürgerlichen haben sich zusammengetan. In Torgau war es auch so. Die CDU-Bürgermeisterin wurde von einem abgelöst, der gar kein Parteibuch hat. Es geht dann nicht um Parteien, sondern um Personen bei der Wahl.

SANDRA: Wie ist ihr Bild in der Erinnerung von Borna 1937 als Sie hergezogen sind im Gegensatz zu heute?

KLAUS: 1937 ging das noch. Wir sind hergezogen, da war im nächsten Jahr ein großes Heimatfest. Da wurde 750 Jahre Borna gefeiert. Das war ganz groß. Da waren Massen an Menschen. Das dreckige Borna ist erst nach dem Krieg entstanden. Wo die Braunkohle auf Krawall fahren mussten, da kam der Dreck raus. Da war es hier dermaßen dreckig. Zwei Kilometer von hier war die Braunkohlebrikettfabrik. Der Wind hat den Kohlestaub hierher geweht. Der Teich in Borna war braun. Es wurde so viel Dreck aufgewirbelt von den Maschinen. Die Entstaubung wurde vernachlässigt. Es wurde nicht gebaut und nicht instandgesetzt. Es war richtig schlimm. Ein richtiges „Scheißnest“. Da ist wirklich aus Borna viel gemacht worden inzwischen. Es wurde viel investiert. Das hat sich wirklich gelohnt. Es gibt jetzt genug Bürger, die hierhin ziehen wollen. Jetzt durch das Neubaugebiet am Lerchenberg. Es war jetzt schon so, dass man keinen Platz mehr für Kinder hatte. Dafür müssen erst die Voraussetzungen geschaffen werden, damit alle den Wohlstand mit genießen können. Es gab keine Möglichkeit, das zu bremsen.

SANDRA: Es ist auf alle Fälle eine sehr lebenswerte Stadt geworden.

KLAUS: Ja, ist es geworden. War es erst nicht. Es war ein Drecknest. Es hieß offiziell Dreckborna.

Als die Russen noch hier waren, hatten sie die Kasernen besetzt. Es gab Straßen, da wohnten nur Russen und deren Offiziere drin. Da wurden in den 50er Jahren Bretter vorgemacht, grün angestrichen und davor stand dann ein Wachposten. Die Soldaten durften nicht raus, nur Offiziere durften das. Ich habe gesehen, wie Offiziere manchmal im Freigang tanzen waren. Als die Unteroffiziere betrunken waren, wurden sie vom Überfallkommando mit Latten verdroschen.

SANDRA: Mein Vater ist in der Kasernenstraße groß geworden. Der ist manchmal als kleiner Junge über die Zäune geklettert und hat gesagt, dass damals schon die Versorgung der Soldaten sehr schlecht war. Die haben nur Kohlsuppe bekommen. Dem normalen Soldaten, der da stationiert war, ging es nicht gut.

KLAUS: Ja, dem ging es nicht gut. Die durften nicht raus. Im großen Saal gab es damals Filmvorführungen, da kamen die durch die Stadt marschiert. Einer mit einer roten Fahne vorweg. Die Häuser gegenüber von der Kaserne waren frei. In die Kaserne konnte keiner raus oder rein. Bei Bekannten, bei dem Bekleidungsladen neben dem Hotel „Drei Rosen“, wo jetzt die Spielothek drin ist. Das Geschäft gab es schon lange aus Familientradition.

Die Russen, die es sich leisten konnten, haben sich dort manchmal die Uniformen machen lassen. Der Besitzer konnte irgendwann nicht mehr ins Haus, weil alles abgesperrt wurde und er musste über den Hof vom Hotel „Drei Rosen“ rein. Die Wettinstraße war auch gesperrt. Da wohnten nur Offiziere. Damals waren dort überall Tore. Die haben versucht, alles abzusperren, damit es keinen Kontakt zur Bevölkerung gibt. Der durfte auf keinen Fall entstehen.

SANDRA: Es gab ja auch Gastarbeiter in der DDR. Zum Beispiel auch in Espenhain im Werk, da gab es auch keinen Kontakt. Haben Sie da eine Geschichte dazu?

KLAUS: Die wohnten meistens in Baracken. In Kitzscher gab es ein Barackenlager, da waren die, die in Böhlen beschäftigt waren. Da gab es sehr wenig Kontakt. Es sollte auch keinen geben. Es hätte die Möglichkeit bestanden, dass man Klamotten tauscht und einen Ausweis von jemand anderem kriegt. Wir durften nicht weg hier.
Du warst auch hier in der DDR eingesperrt. Meine Mutter wollte mal in den Westen reisen. Ich, als Angestellter beim Staat, durfte gar nicht erst den Antrag auf West-Reise stellen. Wir mussten monatlich angeben, mit wem wir brieflichen Kontakt hatten. Da musste man immer einen Bogen ausfüllen. Einmal im Jahr wurde ein Kadergespräch geführt. Wie du dich verhältst, wie deine Arbeitsmoral ist und ob du Schwierigkeiten hast. Das wurde alles mit dir besprochen. Ich war ja nicht in der Partei, das war auch ein Problem. Ich hatte mich dagegen gewehrt und habe es durchgesetzt. Ich war bewusst gegen den Staat, nicht als Staat an sich, sondern gegen die politischen Entscheidungen.

SANDRA: Es ist ja auch eine krasse Leistung, dass Sie es auch auf das Gymnasium geschafft haben. War es damals Standard, dass viele auf das Gymnasium gegangen sind?

KLAUS: Ich war schon vor Kriegsende auf dem Gymnasium. Da gab es keine Ausscheidung. Meinen Bruder wollten sie nicht reinlassen. Da hat meine Mutter so lange Briefe an die Regierung geschrieben und geschimpft, bis er es auch durfte. Er hat Abitur gemacht und ist dann später, als er keinen Studienplatz bekommen hat, in den Westen abgehauen und hat da studiert. Der war dann weg. Das war noch vor dem 13. August 1961, bevor die Mauer stand. Da konnte man noch illegal über die Grenze fahren. Ich bin damals auch einmal in West-Berlin gewesen und habe Schuhe gekauft.

FRIEDER: Die Brüder von meinem Großvater haben auch keine Studienplätze bekommen und sind Ende der 1950er nach West-Berlin, von da aus mit dem Flieger nach München und sind dann da geblieben. Einer zumindest.

KLAUS: Ich war hier und habe die Stellung gehalten.

SANDRA: Hatten sie Kontakt mit ihrem Bruder?

KLAUS: Ja, hatte ich. Das musste ich aber auch angeben. Ich habe natürlich nicht alles angegeben, habe auch manchmal getrickst. 1987 hatte eine Verwandte von uns einen runden Geburtstag. Da hat meine Frau einen Antrag auf Besuchsreise gestellt. Sie hat damals im Gesundheitswesen gearbeitet und ihr wurde der Antrag abgelehnt. Sie hat sich nicht beunruhigen lassen und hat Krach gemacht. Es wurde versucht ihr zu unterstellen, dass es keine echte Verwandte war. Es ging dann aber trotzdem. Der stellvertretende Leiter von unserer Abteilung beim Ministerium für Bauwesen in Leipzig, der auch die Kadergespräche mit uns führen musste, bekam auf einmal eine West-Reise. Der kam nie wieder zurück davon.

FRIEDER: Wie war das mit der Arbeitslosigkeit nach der Wende? Sie waren ja im Stadtrat und haben das da mitbekommen.

KLAUS: Wir wussten, dass die Arbeitslosigkeit groß war. Einer von den Linken, der im Stadtrat war, war auch arbeitslos. Die haben aber auch alle Arbeit bekommen. Ich muss ehrlich sagen, wer wollte, hat Arbeit gekriegt. Ich muss auch heute sagen, die Hartz-4-Empfänger, da sind viele zu faul zum Arbeiten. Es gibt überall Arbeit und du kannst dich überall ausbilden lassen. Du musst nicht darauf hoffen, dass der Staat dir das Geld bezahlt. Du musst dich dahin wenden und aufstehen und dir Arbeit suchen. Wenn du das nicht gelernt hast, dann warst du raus. Vielleicht ist es schwer da wieder rein zu kommen. Normalerweise bist du halt in dem Trott drinnen, stehst früh auf und gehst zur Arbeit. Früher war das aber auch einfacher, weil überall Busse hinfuhren. Es gab Schichtbusse, die dich zur Arbeit und zurück nachhause brachten. Es hatte niemand ein Auto, wenn dann ein Fahrrad oder ein Motorrad.

Heutzutage braucht man ein Fahrzeug. Auf die öffentlichen Verkehrsmittel kannst du dich nicht verlassen. Letztens hatte ein Zug von Düsseldorf nach Erfurt drei Stunden Verspätung. Es ist bekannt, dass die Bahn nie pünktlich ist.

FRIEDER: Haben Sie einen Lieblingsort in Borna?

CHRISTEL: Das ist eigentlich der Stadtrat. Da lässt er keinen aus.

KLAUS: Ich bin immer der einzige Zuhörer. Ich bin der erste Stellvertreter der letzten Kommunalwahl gewesen. Ich mache aus Interesse noch ein bisschen mit.
Aus der SPD bin ich ja ausgetreten. Ich bin jetzt als Anstoßer da und habe so mein Thema, das ich ansprechen will. Das betrifft den Skatepark, den man bauen wollte am Bockwitzer See.

SANDRA: Der Surfpark?

KLAUS: Der Surfpark mit Skaterpark. Alles beides. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das bei den heutigen Preisen noch machbar ist. Die Anlage, die gebaut wird, wo Leute durch das Wasser gezogen werden, das braucht große Motoren. Man braucht viel Energie, um die Anlage zu bauen. Vor zwei Jahren, als ich gerade im Stadtrat aufgehört habe, kam das Thema auf. Damals hieß es schon, dass sich Bürger kostenmäßig beteiligen können. Sie wussten nicht, wo sie das Geld herbekommen sollten. Das ist bestimmt nicht billig. 2020 hatten die die Kosten von 18 Millionen vorgestellt.

FRIEDER: Was wir so in den Interviews viel gehört haben war, dass für die Jugend Angebote fehlen.

KLAUS: Zu unseren Zeiten gab es drei Säle, wo man am Wochenende tanzen gehen konnte. Wir haben immer versucht mit Leitern einzusteigen, wenn wir kein Geld hatten. Da war viel los am Wochenende. Das ist heute nicht mehr so. Es gibt auch kein richtiges Kino in Borna.

FRIEDER: Woran liegt es, dass es so wenig gibt, aus Stadtratssicht?

KLAUS: Da kann ich nichts zu sagen. Man müsste es unterstützen, wenn Angebote kämen, die etwas für Jugendliche machen wollten. Sodass sie nicht dorthin fahren müssen, wo etwas los ist, wie nach Leipzig.

CHRISTEL: Es ist aber auch kostspielig. Als Jugendlicher hat man ja nicht so viel Geld. Leipzig ist ja schon auch weit, wenn man Vergnügen sucht. Das kann man ab und an mal machen, aber nicht regelmäßig.

KLAUS: Wir fahren auch manchmal ins Gewandhaus oder in die Oper. Wir gehen auch hier ins Konzert, wenn die sächsische Philharmonie spielt.

CHRISTEL: Das ist auch ein Trauerspiel mit dem Konzert. Kein Publikum. Die, die immer gekommen sind, sind mittlerweile verstorben.

KLAUS: Das ist der Generationenwechsel. Die nächste Generation hat andere Interessen. Die wollen diese Musik nicht.

CHRISTEL: Die können mit dieser Musik nichts anfangen.

SANDRA: Wir als Bon Courage haben auch die Erfahrung gemacht, dass wenn wir Angebote machen, es aber keine kostenlose Roster und Bier gibt, dann kommt keiner. Das ist ganz schwierig in Borna um Leute herauszulocken. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Borna sehr träge ist.

CHRISTEL: Das hängt vielleicht noch mit der Braunkohle zusammen.

KLAUS: Wir sagen immer, die Schachtscheißer.

CHRISTEL: Das waren alles Leute, die vorher nie an so etwas herangeführt worden sind. In der Braunkohle waren meistens nicht so hochgebildete Leute.

KLAUS: Die Konzerte gab es aber früher zu DDR-Zeiten auch schon.

FRIEDER: Waren da die Säle voll?

CHRISTEL: Nein, aber in DDR-Zeiten gab es mehr Besuch.

SANDRA: Es gab auch weniger Alternativen. Heute gibt es ja Internet oder Onlinefilme. Man muss nicht mehr vor die Tür gehen.

KLAUS: Ich kann mich erinnern, dass es früher auf dem Volksplatz manchmal Konzertveranstaltungen gab. Da war es so voll, dass man auf den Treppen sitzen musste. Das ist aber lange her. Selbst zu Kriegszeiten spielte die SS Marschmusik. Da war der Platz voll.

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